Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
Vom Netzwerk:
zu unternehmen, fühlte er sich auch versöhnt. Sein schwacher Selbsterhaltungstrieb begann sich aufs neue zu regen und äußerte sich anfangs darin, daß er mit erhobe-nem Kopf ging, wenn er und Baldur die Straße entlang-spazierten. Dann straffte er auch seine Schultern und schritt etwas flotter aus. Nun konnten Vorübergehende zumindest nicht mehr behaupten, daß er eine deutlich schlechtere Figur abgab als sein Hund.
    Dr. Fenton gab sich auch große Mühe, auf seine Arbeit stolz zu sein. Er wußte nicht, ob sie sich dadurch verbes-serte, aber immerhin vergingen drei Wochen, ohne daß ihm ein Fehler unterlief. Abends nach dem Essen vertiefte er sich in Bücher über Philosophie und Geschichte. Er besorgte sich Unterlagen der Berlitz School und lernte Fran-116
    zösisch. Sein Verstand, durch das Studium der Zahnmedizin darauf trainiert, Fakten aufzunehmen und zu behalten, nahm die französische Grammatik auf gleiche Weise in Angriff. Um seine Redegewandtheit zu verbessern, plauderte er unter der Dusche und beim Rasieren französisch mit sich selbst. Da er bis Mitternacht oder länger lernte und las, hatte er Mühe einzuschlafen, wenn er ins Bett ging, und so ließ er die ganze Nacht leise das Radio laufen, einen UKW-Sender, der nur klassische Musik spielte. Baldur mochte sie lieber als Tanzmusik, wie Dr. Fenton sehr wohl wußte. Mozart und Richard Strauss mochte er auch, und so kaufte Dr. Fenton ein paar Langspielplatten mit ihren Werken für den Plattenspieler, den er seit zwei oder drei Jahren nicht mehr angerührt hatte.
    Als die Kirsteins anriefen, um ihn für den Samstagabend zum Pokern einzuladen, sagte Dr. Fenton höflich mit der Begründung ab, er habe eine andere Verpflichtung. Er stellte fest, daß er es in der Tat vorzog, zu Hause bei seinen Büchern zu bleiben, und daß ihn die Aussicht, Bill Kirsteins lautes Gelächter ertragen zu müssen, zwanzig oder dreißig Dollar zu verlieren, wie jedesmal, und zudem am Sonntag einen Kater zu haben, keineswegs lockte.
    Früher hatte er die Kirsteins besucht, um nicht einsam zu sein, aber jetzt fühlte er sich nicht mehr so einsam.
    Schließlich war Baldur da, und es schien ihm, als betrachtete der Hund ihn weniger kritisch, seit er sich der franzö-
    sischen Sprache und klassischer Musik zugewandt hatte, aber vielleicht lag es auch nur daran, daß Baldur selbst froh war, abends Gesellschaft zu haben. Selbst ins Kino war Dr.
    Fenton schon seit Wochen nicht mehr gegangen.
    117
    Ganz allmählich ging es mit seiner Praxis bergauf. Un-tertags gab es keine unausgefüllten Stunden und halben Stunden mehr. Seine alten Patienten hatten ihm stets ein paar neue geschickt, doch jetzt kamen sie in einer Größen-ordnung von einem halben Dutzend pro Woche. Dr. Fenton hob seine Honorare leicht an. Er lag damit nach wie vor unter dem Preisniveau der meisten Zahnärzte mit seinen Fähigkeiten – zwei oder drei seiner Patienten sagten ihm das auch –, aber ihm war bewußt, daß die Leute ihn eher respektieren würden, wenn er seine Honorare nicht zu tief ansetzte. So waren die Menschen nun mal. Von dem zusätzlichen Geld kaufte er neue Teppiche für seine Pra-xisräume, hängte ein paar hübsche Reproduktionen von Cézanne und Matisse an die Wände und ließ schließlich sogar die ganze Praxis frisch in einem kräftigen, freundlichen Grün streichen.
    All das führte dazu, daß er Baldur gegenüber anders dastand. Anfangs hatte er es für Einbildung gehalten, aber mittlerweile war er überzeugt. Baldur lächelte tatsächlich, wenn Dr. Fenton ihm einen Spaziergang im Park vor-schlug. Wenn er beim Abendessen saß, vor sich ein aufge-schlagenes Buch, lag der Hund dicht neben ihm am Boden und schaute ihn nicht mehr mit verhohlenem Abscheu an.
    Und in der Tat hätte Dr. Fenton auch nicht gewußt, weshalb, denn der Tisch war stets makellos gedeckt und mit Kerzen erleuchtet, und auch das Essen kam längst nicht mehr aus der Dose. In den vergangenen Monaten hatte Dr.
    Fenton ein französisches Kochbuch gelesen, um sich mit den Ausdrücken auf französischen Speisekarten vertraut zu machen, und nun probierte er zahlreiche Rezepte selbst 118
    aus. An manchen Abenden kochte er so vorzüglich, daß er sich wünschte, er hätte einen Freund zum Essen eingeladen. Dieser Wunsch hielt freilich nur an, solange er aß.
    Danach war er recht froh, den Rest des Abends für sich allein zu haben.
    Eines Morgens erhielt er in der Praxis einen Anruf von Theodora. Einen Moment lang gefror ihm das Blut in

Weitere Kostenlose Bücher