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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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das Gefühl, daß der Hund wußte, weshalb er ihm geschenkt worden war, und daß er seine besondere Schwachstelle, nämlich das Gefühl zu versagen, kannte. Immerhin war Baldur das Geschenk einer Frau, die vor sechs Monaten Dr. Fentons Heiratsantrag abgelehnt hatte.
    Und so war es dazu gekommen: Fünf Jahre lang war Dr.
    Fenton heimlich in die Frau seines Freundes Alex Wilkes verliebt. Theodora Wilkes war eine hochgewachsene, gutaussehende Frau Mitte Dreißig, mit glattem schwarzem Haar, das sich im Nacken nach innen rollte, und wunderschönen, langen, schmalen Händen, die, wenngleich sie nichts taten, doch den Anschein erweckten, als könnten sie mit jeder Situation fertig werden. Theodora hatte gern Menschen um sich, und so kam es selten vor, daß Dr.
    Fenton sich mit ihr allein unterhalten konnte, es sei denn, bei einer Cocktailparty in irgendeiner Zimmerecke. Wenn er dann mit ihr in einer Ecke stand und die Möglichkeit 108
    hatte, ein paar schüchterne Banalitäten von sich zu geben, kam er sich vor wie in Gegenwart einer Göttin der Liebe, des Glücks und des savoir vivre – kurz: einer Göttin, die all das verkörperte, was ihm fehlte. Dr. Fenton war nie verheiratet gewesen. Als Sohn armer Eltern hatte er sich sein Zahnmedizinstudium selbst finanziert, und da er bescheiden und wenig energisch war, hatte er seine Fähigkeiten nicht im Rahmen des Möglichen zu Geld gemacht, so daß er trotz der guten Adresse seiner Praxis auch nach zehn Jahren beruflicher Tätigkeit nicht mehr als Zwölftausend Dollar im Jahr verdiente, die größtenteils für die allgemeinen Unkosten draufgingen. Und seine hoffnungslose Liebe zu Theodora hatte nach fünf Jahren auch keinerlei Fortschritte gemacht. Seine Träume indessen waren kühner und kühner geworden. Wenn er sie heiraten könnte, so träumte er, würde sich sein Einkommen vervierfachen, seine Geschicklichkeit würde zunehmen, und sogar seine Stimme würde sich positiv verändern.
    Dann geschah etwas, was Dr. Fenton nie zu träumen gewagt hätte: Alex Wilkes starb plötzlich an Herzversagen.
    Diskret begann Dr. Fenton, Theodora den Hof zu machen.
    Nach drei Monaten bat er sie, ihn zu heiraten. Der Augenblick, in dem Theodora ihn zärtlich ansah und sagte, sie brauche etwas Zeit, um darüber nachzudenken, war der glücklichste in Dr. Fentons Leben. Bei ihrem nächsten Treffen dann erklärte sie ihm, sie könne ihn nicht heiraten.
    Nein, das bedeute nicht, daß sie überhaupt nicht mehr heiraten werde, sagte sie, und die Schlußfolgerung lag auf der Hand: daß sie ihn niemals heiraten würde. Mehrere Wochen lang schleppte sich Dr. Fenton am Rande des 109
    Selbstmords dahin, so deprimiert war er. Eines Tages rief Theodora ihn an, und sie verabredeten sich. Dr. Fenton, der gehofft hatte, Theodora könnte es sich anders überlegt haben, war von der Unterredung mit einem vier Monate alten Schäferhund zurückgekehrt, Baldur von Hohenfeld-Neuheim. Sie habe ihm etwas Lebendiges schenken wollen, hatte sie gesagt. Der Welpe werde ihm Gesellschaft leisten und dafür sorgen, daß er öfter aus dem Haus komme.
    Dr. Fenton wollte Theodora nicht mehr sehen; selbst die Erinnerung an ihre langen, schmalen Hände war für ihn schmerzlich, dennoch fühlte er sich veranlaßt, sich besonders gut um Baldur zu kümmern, weil er ein Geschenk von ihr war. Und da er selbst ein Mensch mit einer gewissen geistigen Disziplin war, gelang es ihm, den Welpen zu hegen und zu pflegen, ohne dabei finstere und negative Gedanken in bezug auf Theodora zu hegen.
    Daß Baldur um diese Dinge wußte, meinte Dr. Fenton ihm an seinen braunen Augen ablesen zu können, wenn der Hund zuweilen dalag und ihn beobachtete, vornehmlich beim Abendessen, das Dr. Fenton an einem Ende des weißlackierten Tischs in seiner Küche einnahm. Er hatte das Gefühl, als wollte der Hund, während er an seiner langen Schnauze entlangblickte, sagen: Du Versager, du er-bärmlicher Abklatsch von einem Mann! Jetzt erlebe ich dich in deiner wahren Umgebung, wie du in Hemdsärmeln am Küchentisch dein armseliges Abendessen verspeist.
    Dabei flimmerte vor Dr. Fentons Augen Baldur von Hohenfeld-Neuheims Stammbaum mit all den Großeltern und Urgroßeltern, all den Odins und Waldins und Ulks von 110
    Sowieso und ihren jeweiligen Auszeichnungen. Irgendwann hatte Dr. Fenton seine Ärmel heruntergekrem-pelt, einen Sakko angezogen und dann den Bridgetisch im Wohnzimmer gedeckt, um dort zu essen. Jetzt deckte er den Bridgetisch jeden Abend mit einer

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