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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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übereinstimmend »Schwin-delanfälle«.
    205

    Ein Mord

    So stand es in den Zeitungen, im Lokalblatt wie in der New York Times, und beiden war der Fall etwa fünf Zeilen wert: Robert Lottman (25), Bildhauer, hat gestanden, seine Frau Lee (23) durch mehrere Schläge auf den Kopf mit einem Nudelholz in der Küche des gemeinsamen Hauses in Bloomington, Indiana, getötet zu haben. Die zweijährige Tochter Melinda, zur Tatzeit ebenfalls in der Küche, lag unversehrt in der Wiege, ah die Polizei eintraf, die Lottman selbst alarmiert hatte.
    Robert Lottman ließ sich widerstandslos festnehmen.
    Sein Verhalten bei der Einlieferung ins Untersuchungs-gefängnis nannte ein Reporter »gelassen«, ein anderer »kalt und herzlos«.
    Die zweijährige Melinda wurde unverzüglich der Obhut ihrer Großmutter Evelyn Watts aus Evanston, Illinois, übergeben. Mrs. Watts äußerte Zweifel an der Täterschaft ihres Schwiegersohnes. Sie hatte Robert Lottman gemocht
    – bis jetzt. Sie war von seiner Liebe zu ihrer Tochter überzeugt gewesen. Sie konnte nicht begreifen, wie es zu dem Mord gekommen war. Sie hatte nie erlebt, daß Robert die Beherrschung verlor. Robert trank weder, noch nahm er Drogen. Was also war geschehen?
    Die beiden Psychiater im Gefängnis von Bloomington stellten dieselbe Frage. Ihr Interesse hielt sich in Grenzen, aber der psychiatrische Fragebogen nebst Auswertung war 206
    nun einmal gesetzlich vorgeschrieben.
    »Ich weiß nicht«, antwortete Robert Lottman. »Ja, ich habe Lee geliebt. Ich liebte sie.« Es war ihm zuwider, dieses Bekenntnis vor zwei amtlich bestellten Psychiatern ab-zulegen, andererseits gab er damit kaum etwas preis, denn warum hätte er Lee heiraten sollen, wenn nicht aus Liebe?
    »Sie hatten oft Streit?« Es war eher eine Feststellung als eine Frage. »Kam es früher schon zu tätlichen Auseinan-dersetzungen?« Das war die Frage.
    »Nein, nie«, sagte Robert. Er hielt dem Blick des Psychiaters stand.
    »Warum haben Sie es dann getan?« Lange Pause. »Ein plötzlicher Wutanfall?«
    Robert schwieg betreten. Ich muß ja nicht antworten, dachte er. Schließlich hatte er die tödlichen Schläge gestanden, was spielte es da noch für eine Rolle, ob sie gestritten, ob er im Affekt gehandelt hatte oder nicht? »Ich war nicht wütend«, sagte Robert endlich, weil er hoffte, die beiden würden sich damit zufriedengeben und gehen. Zwanzig Minuten saß er nun schon auf diesem harten Stuhl.
    »Schauen Sie«, ergriff jetzt der dunkelhaarige Psychiater das Wort, »falls Sie und Ihre Frau Streit hatten – egal, wes-wegen –, so könnte die Anklage auf Totschlag lauten. Und dann fiele das Urteil milder aus als bei vorsätzlichem Mord.«
    »Nicht doch, Stanley, vorsätzlicher Mord‹ steht doch hier gar nicht zur Debatte – bis jetzt. Das ist ein Ehe-drama.«
    Robert hätte am liebsten alle beide abgeschaltet. Müde 207
    und gelangweilt wiegte er den Kopf. Die Psychiater mochten das für eine gerissene Taktik halten. Robert hielt sich keineswegs für gerissen. Aber er verachtete die beiden Männer, die ihn verhörten. Und er hatte seinen Stolz. Er würde denen nicht sagen, warum er Lee getötet hatte. Das würden die zwei vermutlich ohnehin nicht verstehen. Sie sahen nicht aus, als würden sie sich die Zeit dazu nehmen.
    Vielleicht konnte er es schriftlich darlegen. Aber für wen?
    Für das Gericht bestimmt nicht. Vielleicht einfach nur für sich selbst. Robert war Bildhauer, kein Schriftsteller, aber wenn er wollte, konnte er sich auch mit Worten verständlich machen.
    »Wir tun unser Bestes für Sie im Hinblick auf den …
    den … äh … Prozeß«, sagte einer der Psychiater.
    »Strafmaß. Im Hinblick auf das Strafmaß«, korrigierte der andere.
    Das Beste für ihn? Was zählte das jetzt noch? Robert schwieg.
    »Ihnen ist egal, wie das Urteil ausfällt?« fragte der Dunkelhaarige.
    »Stimmt. Ist mir egal.«
    »War vielleicht ein anderer Mann im Spiel?« fragte der Stämmige mit dem schütteren Haar, und es klang, als hoffe er auf eine Bestätigung.
    »Nein, das habe ich doch schon gesagt.« Wie sehr er selbst auf einen anderen Mann gehofft hatte! »Reicht das nicht? Ich wüßte nicht, was ich Ihnen noch erzählen könnte.«
    Minuten später war er befreit, zumindest von den bei-208
    den. Ein Wärter kam und brachte ihn zurück in seine Zelle.
    Robert beachtete ihn nicht. Er hatte nicht vor, eine der Türen, von denen zwei auf einen Parkplatz gingen, zu einem Fluchtversuch zu nutzen. Das Gefängnis wirkte

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