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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Unschuld zu besitzen.
    Vielleicht, dachte George, als er sich an dem Abend eine einfache Mahlzeit zubereitete, vielleicht würde das Phantom ja nicht wiederkommen. Immerhin, so versuchte er sich selbst Mut zu machen, immerhin hatte er einen Psychiater aufgesucht und sich ihm rückhaltlos offenbart. Was konnte er denn noch tun?
    Beim Essen fiel ihm ein, was er noch tun konnte: mit Ralph Foreman sprechen und ihm sagen, wie gern er den jungen Mann kennenlernen würde, der sich für einen Posten in der Kanzlei interessierte. Und weil das eher ein persönliches denn ein berufliches Anliegen war, beschloß er, Ralph jetzt gleich anzurufen, auch wenn er ihn schon Montag in der Kanzlei sehen würde.
    Ralphs Frau Nancy war am Apparat. Sie wechselte ein paar freundliche Worte mit George, dann kam Ralph an den Apparat. George sagte, er bedauere, neulich verhindert gewesen zu sein, und ob sie das Versäumte nicht nachholen könnten? Sie verabredeten sich für den nächsten Freitag.
    »Bei der Gelegenheit möchte ich Sie gern auch mit Edna Carstairs bekannt machen«, sagte Ralph. »Ich werde fragen, ob es ihr Freitag paßt. Bei Pete klappt's bestimmt.«
    Pete war der junge Mann. Aber Edna Carstairs? Hatte 197
    Ralph den Namen schon einmal erwähnt?
    George fühlte sich gleich besser, als ob er schon etwas erreicht oder zumindest einen erfolgversprechenden Weg eingeschlagen hätte. In der folgenden Woche beschränkte er sich auf zwölf Zigaretten pro Tag und zählte gewissenhaft. Man mußte schließlich konsequent sein. Und fortan lag keine »zweite« Zigarette mehr im Küchenaschenbecher oder sonstwo. Langsam aber sicher würde er es auslösehen, dieses Phantom, das Hirngespinst, und eines Tages rückblickend darüber lachen.
    Am Freitag abend fuhr George von der Kanzlei zuerst nach Hause. Er wollte sein Hemd wechseln, bevor er zu den Foremans ging. Und er band sich auch eine andere Krawatte um. Als er das Jackett wieder anzog, überkam ihn eine so düstere Melancholie, als ob er sich gerade völlig verausgabt oder eine schlimme Nachricht erhalten hätte.
    George gab sich einen Ruck. Er versuchte sogar, seinem Spiegelbild zuzulächeln, aber es half alles nichts. Er hätte aufs Bett sinken und sich den ganzen Abend nicht mehr vom Fleck rühren mögen. Er verschaffte sich Bewegung, in dem Glauben, das würde ihn wieder munter machen. Dabei schielte er kampflustig nach der Küche, und wie um sich zu beweisen, daß sie leer war, ging er hinein.
    In dem runden weißen Aschenbecher auf dem Küchentisch lag eine brennende, zur Hälfte verglühte Zigarette. War er, als er heimkam, zuerst in der Küche gewesen? Er konnte sich nicht erinnern. Er blickte zur Spüle hinüber. Nichts.
    »Haha«, erklang ein leises, trockenes Lachen in seinem Rücken, und George fuhr herum.
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    Einen kurzen Moment sah er sich selbst in dem Flur stehen, der die Küche mit dem Wohnzimmer verband, dann war das Blendwerk verschwunden.
    Das Lachen und die Gestalt, beides war Einbildung gewesen, dachte George. Aber die Zigarette? Nun, die hatte er sich wohl beim Nachhausekommen unbewußt angezündet, ohne sie zu zählen. Und in der Zeit, in der er sein Hemd gewechselt hatte, konnte sie gut und gern so weit heruntergebrannt sein wie die hier im Aschenbecher.
    Durfte er es als Sieg verbuchen, daß die Gestalt so rasch verschwunden, daß ihr Lachen nicht so deutlich hörbar gewesen war wie zuvor? George starrte so trotzig ins leere Wohnzimmer, als fordere er das Ding heraus, sich ihm noch einmal zu zeigen. Aber er fühlte sich nicht in Sieger-laune, sondern blieb niedergeschlagen und deprimiert, ja er spürte förmlich, wie seine Mundwinkel nach unten sackten und wie seine gefurchte Stirn die Brauen gewaltsam zusammenschob.
    »Zur Hölle damit, verdammt noch mal!« fluchte er. Und wußte im selben Moment, daß die halbe Stunde beim Psychiater ihm nichts gebracht hatte. George straffte die Schultern und lächelte, um seine Stirn zu glätten. Heute abend war er Gast, da mußte man einen liebenswürdigen Eindruck machen. Er nahm ein Taxi zur East Eighty-fourth Street.
    »George! Endlich… Herzlich willkommen!« Ralph
    Foreman schlug ihm auf die Schulter. »Treten Sie ein. Darf ich vorstellen – Edna Carstairs.«
    Auf dem Sofa saß eine hübsche junge Frau im waden-langen, schwarzgoldenen Kleid. Sie lächelte George an und sagte: »Sehr erfreut.«
    199
    »Und das ist Peter Buckler – aus New York.«
    Ein junger Mann mit rötlichbraunem Haar und einem strahlenden

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