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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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versprach, sich um Tickets für eine der beiden Inszenierungen zu kümmern, die Edna lobend erwähnt hatte. Sie gab ihm ihre Karte mit ihrer Privatadresse und der Anschrift des Verlagshauses auf Long Island, wo sie 202
    Lektorin war. George sagte, er würde sie am Dienstag noch einmal anrufen, um ganz sicherzugehen, und sie dann gegen sieben Uhr abends abholen. Er begleitete sie noch bis zum Eingang ihres Apartmenthauses, dann fuhr er mit dem Taxi, das er hatte warten lassen, heim. Er fühlte sich leicht und beschwingt.
    Seine gute Laune hielt das ganze Wochenende an. Er und Ralph verschafften Peter Buckler für Dienstag einen Vorstellungstermin bei Tub. Danach, wie das Gespräch ausgegangen sei, erkundigte er sich nicht.
    George war am Dienstag vor sechs daheim, duschte sich und zog einen Anzug an, der frisch aus der Reinigung kam.
    Optimistisch und selbstbewußt sah er seiner ersten Verabredung mit Edna entgegen, und die Vorfreude auf das Rendezvous versetzte ihn in Hochstimmung. Nicht, daß er sich schon mit irgendwelchen festen Absichten getragen hätte. Vielleicht hegte sie ja nur rein freundschaftliche Gefühle für ihn, wie das so schön hieß.
    Trotzdem stärkte bereits die vage Aussicht auf Erfolg sein Selbstvertrauen. Und hübsch war sie; eine Frau wie Edna hätte er voll Stolz überallhin begleitet. George kam eben aus dem Schlafzimmer, als er zu seiner Rechten, vor den hohen Fenstern, seinen verhaßten Doppelgänger stehen sah, angetan mit dem gleichen schicken Anzug und der dunkelblauen Fliege, die auch er trug. Georges Entsetzen schlug blitzartig in das wütende Verlangen um, die Erscheinung auszulöschen oder ihr wenigstens eiskalt den Rücken zu kehren. Also wandte er sich brüsk zur Tür.
    »Optimist!« rief ihm das Phantom zynisch nach.
    George reckte sich zu seiner vollen Größe auf. »Na 203
    schön, du willst dich also unbedingt mit mir liieren«, sagte er und ging mit ausgebreiteten Armen auf seinen Doppelgänger zu. Entweder das Trugbild würde verschwinden, wenn er danach griff, dachte er, oder… oder was? Sollte er es in den eigenen Körper hineinpressen, sich einverleiben?
    »Was hab ich denn so Schlimmes verbrochen, was? Für mich bist du nur ein diffuser Schemen… so diffus, wie du aussiehst!«
    »Ach ja, die Diffusion des Lebens«, sagte das Phantom belustigt und ging – ebenfalls mit ausgebreiteten Armen –
    rückwärts. »Was du so Schlimmes verbrochen hast? Das ist die große Frage, nicht wahr, aber beantworten mußt du sie dir selbst.«
    »Mit mir liieren willst du dich«, wiederholte George.
    »Aber was ist der Witz dabei?« Er hätte genausogut mit sich selber reden können, aber in dem Moment fühlte er sich mutig und voller Zuversicht. Und als er der halbmani-festen Gestalt nahe kam, spürte er einen leichten Widerstand, als ob er endlich etwas zu fassen bekäme. Er wollte das Ding zermalmen, es in seinen eigenen Körper hineinpressen und sich seiner auf diese Weise entledigen.
    Das Phantom aber schien sich in seinen Armen zu wiegen, und George hatte den Eindruck, daß es viel mehr Arme besaß als bloß zwei. Doch seine Ohnmacht versetzte ihn erst recht in Zorn. Mit der Linken öffnete er die Balkontür. Es war kein richtiger Balkon, sondern nur eine schmale Brüstung mit einem hüfthohen Geländer davor.
    »Ich werf dich runter, wenn du nicht gehorchst!« George meinte, falls das Gespenst hartnäckig blieb und sich nicht mit ihm vereinigen wollte. George hob das Knie und stieß 204
    zu, aber sein Knie traf aufs blanke Nichts. Wer bedrängte hier eigentlich wen? Mit der Rechten packte er das Revers das Phantoms, mit der Linken faßte er es am rechten Ellbogen und stemmte es in die Höhe. »Ich werde mich von dir befreien!« drohte George mit zusammengebissenen Zähnen, zerrte das Ding auf den winzigen Balkon hinaus und hob es hoch. Er spürte fast kein Gewicht in seinen Armen, und doch war da Etwas, und dieses Etwas reichte, um George aus dem Gleichgewicht zu bringen. Den Rest besorgte sein eigenes beträchtliches Körpergewicht, besorgte die Schwerkraft in Brust und Schultern, die ihn über das Geländer zog.
    Im freien Fall empfand George blitzartig so etwas wie Erlösung. Dann befiel ihn nackte Angst und die Erkenntnis, daß er einen schrecklichen Fehler gemacht hatte. Er hatte sich doch nicht selber aus dem Fenster stürzen wollen!
    Er fiel aus dem elften Stock. Sein Tod wurde als Unfall deklariert, und Psychiater Kublick wie auch Hausarzt Pallantz benannten als Ursache

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