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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Vorstellung, trotzdem hatte es ihm angst gemacht.
    Robert erinnerte sich an seine Spekulationen darüber, ob die Situation sich nicht bessern würde, wenn er fort wäre.
    Lee würde auf die Füße fallen, falls sein Verschwinden sie überhaupt aus der Bahn warf. Tony würde bereitstehen und einspringen, sobald Lee ihn nur ließe, und warum sollte sie das nicht tun? Tony arbeitete ernsthaft an seiner Architektenkarriere, er hatte von irgendwoher ein Diplom und würde bestimmt seinen Weg machen. Und einen glühenderen Verehrer als ihn konnte Robert sich gar nicht vorstellen, sofern man ihm nur eine Chance gab. Als Lee und Robert in ihr Haus eingezogen waren, hatte Tony eine Freundin gehabt, aber nach etwa drei Monaten (Tony hatte in der Zeit ein paar Tischlerarbeiten bei den Lottmans übernommen und das Mädchen ein-, zweimal mitgebracht) hatte er Schluß gemacht mit ihr. Weil er sich in Lee verliebt hatte, das war sonnenklar. Robert erinnerte sich, Lee schon relativ bald darauf hingewiesen zu haben, aber sie hatte nur gleichgültig mit den Schultern gezuckt.
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    Robert hatte damals gerade die Porträts (er nannte es
    »Köpfe«) von zwei Kunden in Bloomington und einem in Chicago in Arbeit. Lohnende Aufträge. Den Luxus, sich selber oder die Gattin für dreitausend Dollar in Bronze gießen zu lassen, konnten sich nur wohlsituierte Bürger in reiferen Jahren leisten. Um seine Kunden zufrieden-zustellen, hatte Robert sich zu einem eher konventionellen Stil bequemen müssen. Und obwohl er sich dabei soviel Freiraum wie möglich zu ertrotzen suchte, ödete ihn diese Arbeit an.
    Auch Lee hatte angefangen, ihn zu langweilen. Eine un-geheure Erkenntnis! Eines Tages, als er niedergeschlagen und nervös von einer Porträtsitzung in Chicago zurückgekommen war, hatte er zu Lee gesagt: »Was, wenn ich einfach verschwinden würde?«
    Sie hatte am Herd gestanden und irgend etwas gebrut-zelt. Jetzt wandte sie sich nach ihm um. »Was soll das heißen?« Ihr Lächeln war fast so wie früher gewesen, ironisch, belustigt, und zwischen den geschminkten Lippen blitzten ziemlich spitze weiße Zähne. Sie trug weiße Turnschuhe und eine kastanienbraune Damenkordjeans. Wegen ihrer ausgeprägten Taille und der starken Hüften konnte sie keine Herrenhosen tragen, auch wenn sie durchaus nicht pummelig war.
    Was hatte er geantwortet? Robert versuchte sich zu erinnern, weil das wichtig war und weil er sich damals ehrlich um eine gangbare Lösung bemüht hatte. »Ich hab den Eindruck, du brauchst mich nicht mehr.« Robert war sicher, daß er das gesagt hatte. Was mochte er noch gesagt haben? »Falls ich fortginge, würde ich dir Geld schicken 221
    und für dich sorgen, darauf kannst du dich verlassen.« Und dann war ihm die Wahrheit herausgerutscht: »Du bist nicht mehr dieselbe wie früher. Ich glaube, es ist nicht deine Schuld, sondern meine. Ich hätte dich niemals bitten dürfen, mich zu heiraten. Ich zerstöre dich irgendwie. Und dieser Zustand, oder was immer es ist, behindert meine Arbeit. Ich werde depressiv dabei.«
    »Aber ich bin noch dieselbe. Gewiß, ich muß mich sehr viel um Melinda kümmern, aber das macht mir nichts aus.
    Das ist doch normal.« Und war sie nicht just in dem Moment quer durch die Küche geschossen, um zu verhindern, daß Melinda mit den Fingern in einer Steckdose herum-pulte? Melinda krabbelte im ganzen Haus herum, denn Lee hielt nichts davon, sie tagsüber öfter hinzulegen. »Wenn sie sich richtig ausgetobt hat, dann schläft sie nachts besser«, pflegte Lee zu sagen. Was hatte sie noch gesagt?
    Vielleicht: »Ich dachte, es läuft recht gut mit deiner Arbeit.
    Oder etwa nicht?«
    Na, und ihr Frisiertisch, vollgestellt mit Haarnadel-döschen, Lippenstiften, Parfumflakons, Lotionen, Eau de Cologne – lauter geheimnisvollen Mittelchen, die Robert anfangs milde belächelt hatte, die Lee indes geschickt zu nutzen wußte. Sie verschönte, veränderte sich. Zu ihrem und zum Vergnügen anderer. Wenn sie ein Restaurant betraten, guckten die Männer nach ihr, junge wie alte. Aber Lee legte es nicht darauf an aufzufallen, darum war es ihr nie gegangen, das hatte sie auch gar nicht nötig. Möglich, daß ihr Blick die Männer zum Flirten animierte, aber sie konnte schließlich nicht dauernd mit geschlossenen Augen herumlaufen. Nein, sie hatte nicht mit anderen geflirtet, 222
    und als sie sich erst einmal für ihn entschieden hatte, war Robert der einzige in ihrem Leben, das wußte er.
    An einem Freitagmorgen, einem der

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