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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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gehörten.
    In dem Gedränge auf der Treppe zur Straße mußten Maud und Claud allerdings ihre Flugkünste zu Hilfe nehmen. Erschöpft von der ungewohnten Anstrengung landeten sie in einem Sonnenfleck neben einem Zeitungsverkäufer. Diesmal war Maud vorneweg. Eine der Straßen, die vom Bahnhof abzweigten, stieg leicht an, und die schlug sie ein. Sie erinnerte sich, daß Hampstead Heath auf einer 237
    Anhöhe lag. Claud folgte ihr.
    »Ach, wie romantisch«, hörte man eine Männerstimme sagen.
    Die Stimme irrte sich. Claud machte oft den Cicerone, wenn er Maud seine Überlegenheit demonstrieren wollte, und dann konnte er sich darauf verlassen, daß Maud ihm bedingungslos folgen würde. Aber manchmal war es eben auch umgekehrt, und mit Paarungstrieb hatte das gar nichts zu tun. Drei Straßenzüge weiter war Maud von dem ewigen Gehopse den Bordstein rauf und runter müde geworden.
    Schuld war Claud, denn er war an der falschen Station ausgestiegen, und Maud, die ihn eingeholt hatte, gab ihm das mit einem Blick und mit abschätzigem Gurren zu verstehen. Auch sie hatte keine Ahnung, wo sie waren, obwohl sie wußte, daß der Trafalgar Square irgendwo rechts hinter ihr liegen mußte. Wenigstens würden sie sicher nach Hause finden. Aber das hier war nicht Hampstead Heath.
    Dann witterte oder erspähte Maud zu ihrer Linken ein Stück Rasen, und mit einer Kopfbewegung, die ihre Brust blaugrün in der Sonne schillern ließ, dirigierte sie Claud in diese Richtung. Sie blieben kurz stehen, um ein Taxi vor-beizulassen, dann trippelten sie weiter. Rauf auf den Bordstein! Jetzt konnte Maud die Grünanlage schon sehen.
    Flügelschlagend legte sie einen Zahn zu, so daß ihre Füßchen das Tempo verdoppeln mußten. Sie brachte sogar die Energie auf, die knapp einen Meter hohe Umzäunung des kleinen Parks zu überfliegen.
    Dort standen Bänke, auf denen Menschen saßen und ausruhten, die ansehnliche Grünfläche mit einem Teich in der Mitte war frei zugänglich. Maud begann zu picken.
    238
    Claud entdeckte ganz in der Nähe drei andere Tauben im Gras, ein Weibchen und zwei Männchen. Die würden ihn und Maud nicht freundlich aufnehmen, argwöhnte er. Aber die beiden Männchen waren im Moment anderweitig beschäftigt. Maud sagte sinngemäß, da könne Claud ja mal wieder sein Glück versuchen, und Claud erwiderte prompt, das gelte auch für sie. Maud stolzierte davon und zeigte der ganzen Bagage die kalte Schulter, Claud eingeschlossen.
    Claud hackte gerade nach einem Wurm und dachte, daß ihm Trockenfutter lieber gewesen wäre, als einer der beiden Täuberiche auf ihn losging.
    Der Angreifer hatte die bessere Kondition. Claud schwang sich nur eine Handbreit vom Boden auf, weshalb seine Gegenattacke ziemlich lahm ausfiel. Claud trat den Rückzug an; tänzelnd, flügelschlagend und kollernd gab er zu verstehen, daß er sich belästigt fühle, sich indes keineswegs geschlagen gebe, sondern einfach keine Lust habe auf ein Duell.
    Maud tat belustigt und blieb unbeteiligt.
    Ganz plötzlich begann es zu schütten. Claud und Maud trippelten zum nächsten Baum. Das sah verdächtig nach Dauerregen aus. Sollten sie zurück zur U-Bahn und nach Hause fahren? Aber es war erst früher Nachmittag. Bei Regen krochen die Würmer aus der Erde, und vielleicht ließen sich ein, zwei Schnecken aufspüren. Mit einemmal stürzte Maud sich auf Claud und stieß ihm den Schnabel in den Hals.
    Claud, der ohnehin schon schlechter Laune war, steuerte daraufhin den nächstbesten Gehweg an. Rasch entschlossen wandte er sich nach links. In die Richtung lag 239
    der U-Bahnhof, dachte er, und nach Hause ging es auch dort entlang.
    Maud trippelte hinterdrein und haßte sich dafür, daß sie ihm folgte. Aber dann tröstete sie sich damit, daß sie Claud so wenigstens im Auge behielt und daß immerhin die Richtung zum Trafalgar Square einigermaßen stimmte.
    Clauds Canossa würde schon noch kommen, dachte Maud.
    Wenn sie sich ordentlich ins Zeug legte, überfiel vielleicht eines Tages ein jüngerer Täuberich ihr Nest und vertrieb Claud aus dem eigenen Heim. Das wäre die gerechte Strafe für –
    Rumms!
    Was war das ?
    Eine plötzliche Finsternis war über sie hereingebrochen.
    Claud saß, flatternd und kreischend, mit ihr in der Falle.
    Maud hörte Kinderlachen. Ein Karton! Maud war das schon einmal passiert, und damals, ermunterte sie sich, damals war sie entkommen. Die Pappschachtel schurrte über das Pflaster, und Maud blieb mit einem Bein im Falz hängen. Das tat

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