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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Claud waren gleich alt, und gleich alt hieß keineswegs gleich jung. Mauds erster Mann war in der Blüte seiner Jahre von einem Bus überfahren worden, als er einen Hap-pen von einem Sandwich zu erhaschen suchte.
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    Mauds hochmütiges Gurren hätte man mit »Na, haste's heute wieder getrieben?« übersetzen können oder wahlweise mit etlichen anderen Sticheleien gegen Clauds Männlichkeitswahn und seine Selbstüberschätzung. Vielleicht hatte Claud es heute zwar nicht getrieben, aber er riskierte allemal gern ein Auge. Maud widerfuhr dafür des öfteren die Genugtuung, mit anzusehen, wie Claud von einem jüngeren Täuberich bedrängt wurde, der im falschen Moment auf Claud und sein frisch gekürtes Weibchen her-abstieß. Claud plusterte sich dann jedesmal furchtbar auf und gab sich kriegerisch, aber dann zielte der Jüngere auf seine Augen, und Claud zog sich zurück.
    »Halt den Schnabel«, befahl Claud, wenn er endlich schlafen wollte, und steckte den Kopf unter den Flügel.
    Ab und zu, wenn sie Lust auf einen Tapetenwechsel bekamen, fuhren Claud und Maud mit der Untergrundbahn nach Hampstead Heath. Um die Wahrheit zu sagen, waren sie einmal bei einem U-Bahn-Ausflug zufällig, aber alsbald hell begeistert in Hampstead Heath gelandet. Soviel Platz!
    Jede Menge Futter! Keine Menschen! Oder fast keine.
    Manchmal bestiegen sie die U-Bahn auch nur zum Zeitvertreib, ohne sich darum zu kümmern, wo die Reise hinführte. Zum Trafalgar Square fanden sie immer zurück, selbst wenn sie sich ein bißchen anstrengen und hie und da ein paar Meter weit fliegen mußten. Was die Orientierung anging, so tat man sich mit dem Bus leichter, doch dafür gab es auf dem Oberdeck eines Busses nicht viel, woran man sich festkrallen konnte. Den Weg nach Hampstead Heath hatten sie sich gut eingeprägt. Wenn sie auf einen Bus aufsprangen, der in diese Richtung fuhr, hatten sie eine 235
    reelle Chance, ans Ziel zu gelangen, und falls der Bus dennoch vorher abbog, flogen sie einfach hinüber auf einen anderen, der ihnen vielversprechender erschien. Zweimal hatten sie es per Bus geschafft.
    Trotzdem war es mit der U-Bahn lustiger, denn hier konnten sie sich präsentieren, und das gefiel Maud und Claud ganz außerordentlich. Die Leute lachten und zeigten auf sie, wenn Maud und Claud mit der Rolltreppe rauf und runter fuhren. Manchmal zückten sie auch ihre Kameras, wie draußen auf dem Trafalgar Square, und dann wurden sie mit Blitzlicht fotografiert.
    »Vorsicht! Treten Sie ja nicht auf die Tauben! Haha!«
    Ausrufe wie diese waren ihnen inzwischen vertraut.
    Maud wurde gelegentlich von der verschwommenen Erinnerung an eine Tochter heimgesucht, die man vor ihren Augen auf einem Gehsteig des Platzes niedergeknüppelt hatte. Das Junge hatte sie mit ihrem ersten Mann gehabt.
    Oder war das am Ende nur Einbildung? Jedenfalls ängstigte Maud sich bis auf den heutigen Tag vor Menschen, die einen Stock bei sich hatten oder auch nur einen Schirm, und solche sah man hier in rauhen Mengen. Wann immer ihr einer zu nahe kam, schrak Maud zusammen und hüpfte beiseite. Maud gab sich der Vorstellung hin, daß sie, falls ihr der Sinn danach stünde, leicht einen anderen Partner finden könnte, aber irgend etwas – sie konnte es nicht benennen – band sie an den Langweiler Claud.
    Eines Samstagmorgens beschlossen sie einträchtig, sich nach Hampstead Heath abzusetzen. Am Trafalgar Square waren schreckliche Dinge im Gange. Menschenmassen I stürmten den Platz, Tribünen wurden aufgebaut und Laut-236
    Sprecher installiert. Kein Tag für Erdnüsse und Popcorn!
    Maud und Claud verdrückten sich in die U-Bahn-Station Whitehall.
    »Och, guck mal, Mami!« rief ein kleines Mädchen.
    »Tauben!«
    Maud und Claud ignorierten das Kind und hüpften weiter die Stufen hinunter. Unbemerkt, wenn auch von irgend-wem getreten, huschten sie unter dem Drehkreuz durch und nahmen die Rolltreppe abwärts. Claud übernahm die Führung, obwohl er nicht wußte, wo es langging. Er sprang einfach auf den erstbesten Zug.
    »Sieh dir das an! Tauben in der U-Bahn!« sagte jemand.
    Ein paar Leute lachten.
    Maud und Claud gehörten zu den wenigen Passagieren, die nicht angerempelt wurden. Die Menschen machten ihnen sogar Platz. Als es ans Aussteigen ging, übernahm Claud wieder das Kommando und nickte gebieterisch. Er wußte nicht, wo er war, spielte jedoch gern den Orts-kundigen.
    »Sie steigen in den Fahrstuhl! Ha-haa-aa!«
    Und wieder machte man ihnen Platz, als ob sie zur Pro-minenz

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