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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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wütenden Stimmen erschraken und die Köpfe hoben.
    Der Mann rannte zwischen die Tauben, trat nach ihnen und fuchtelte brüllend mit den Armen. Die meisten Vögel machten sich träge und gemächlich aus dem Staub. Maud flatterte heimwärts, zu der gemütlichen Nische hinter der niedrigen Steinmauer, und als sie ankam, war Claud schon da. Beide waren schrecklich müde, weshalb sie sich vor dem Schlafengehen nicht einmal mehr angrummelten. So müde war Maud freilich nicht, daß sie die halbe Erdnuß vergessen hätte, die Claud ihr vor dem Schnabel wegge-schnappt hatte. Warum blieb sie mit ihm zusammen?
    Warum blieb sie (oder blieben sie beide) hier, wo sie täglich Gefahr liefen, eingefangen zu werden, so wie heute, oder wo man von Menschen getreten wurde, die sogar an 246
    ihrer Kacke Anstoß nahmen? Warum? Ermattet von so viel Hader und Mißvergnügen schlief Maud ein.
    Die Taubenattacke am Trafalgar Square, bei der ein Ba-by ein Auge verloren hatte, zeitigte ein paar Leserbriefe an die Times. Ansonsten blieb der Zwischenfall ohne Folgen.
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    Quitt

    Nach der Tat brach Joël atemlos vor Erschöpfung in einem Sessel im Schlafzimmer zusammen. Seine tote Frau lag quer über dem Bett, ihr linker Fuß berührte mit den Zehen den weißen Teppich. Joël sah sie an, erschauerte und schloß die Augen – nicht vor Entsetzen oder aus ehrlicher Reue, dachte er, sondern weil man vor einem geschun-denen Leichnam, egal wessen, wohl unwillkürlich schauderte und die Augen schloß.
    Er war von der Arbeit gekommen und hatte Lucy zu-sammengeschlagen auf dem Bett gefunden – natürlich von Robbie, der kurz vorher gegangen war –, und Joël hatte die Sache einfach zu Ende gebracht. Von aufgestautem Haß getrieben, war er mit den Fäusten auf Lucy losgegangen; mit den Handkanten, womöglich gar mit den Füßen hatte er sie traktiert und endgültig erledigt, was Robbie Vanderholt angefangen hatte. Geredet hatten sie so gut wie gar nicht, Lucy und er, und falls doch, dann waren ihm die Worte entfallen. Vielleicht hatte er gesagt: »Da hat Robbie dir aber ein schönes Veilchen verpaßt«, vielleicht auch nicht.
    Das Gurgeln und Plätschern nebenan im Bad ließ ihn hochfahren. Die Wanne lief über. Joël drehte den Hahn zu, tauchte eine Hand ins warme Wasser, zog den Stöpsel und ließ die Wanne leerlaufen.
    Er mußte die Leiche loswerden. Ein klassisches Problem. Er zog die Jacke aus, inspizierte nervös das Schlaf-248
    zimmer, sah Lucy an. Blutflecken waren keine zu sehen.
    Auf einer niedrigen Kommode an der Wand standen zwei nicht ganz ausgetrunkene Gläser Scotch mit Soda, daneben das Sodafläschchen. Überall würde man Robbies Fingerabdrücke finden. Robbie hatte seine Korkfilterzigaretten vergessen, und im Aschenbecher lag eine von seinen Kippen. Robbie war der Mann.
    Joël sah auf seine Uhr: 17.35. Freitagnachmittag. Er ging hinaus in den Vorgarten. Sein Wagen parkte auf halber Höhe der Einfahrt. Es waren etwa dreißig Meter von seinem Grundstück bis zum Nachbarhaus, dem Haus von Betty Newman, deren elfjähriger Sohn gerade auf dem Rasen ein Flugzeug aus Balsaholz steigen ließ. In der Küche brannte Licht. Falls Betty jetzt aus dem Fenster schaute und ihn sah, wäre das ideal, dachte Joël. Er würde etwas ratlos wirken, als ob er auf der Suche nach Lucy herausgekommen wäre, sie aber nicht hätte finden können.
    Joël machte einen Bogen um die Garage und ging weiter, bis er in der Ebene die rauchblaue Silhouette von Pennerlake erkennen konnte, der Stadt, in der er arbeitete.
    Jenseits von Pennerlake zeichnete sich in noch fahlerem Blau eine bewaldete Hügelkette ab. Letzten Sonntag war er nach einem Streit mit Lucy ziellos durch die Gegend gekurvt, und dabei war ihm aufgefallen, daß man einen der Hänge dort drüben mit Hunderten von jungen Kiefern aufgeforstet hatte. Das bedeutete frisch umgegrabenes Erdreich, lockeren Boden. Der ideale Platz für ein Leichenbegräbnis.
    Ein paar Minuten vor acht rief Joël die Richardsons in Pennerlake an. Mamie Richardson war am Telefon.
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    »Hi«, sagte Joël. »Hier ist Joël Lucas. Meine andere –
    meine bessere Hälfte ist wohl nicht zufällig bei euch am Bridgetisch versackt?«
    »Ha-ha!« Mamie kreischte wie eine gewürgte Henne.
    »Bridge ist dienstags, mein Lieber. Nein, sie ist nicht hier.«
    »Ach. Und hast du 'ne Ahnung, wo sie stecken könnte?«
    »Nein, keinen Schimmer.« (Und Joël merkte wohl, wie schadenfroh das klang.) »Hat sie dir nichts hinterlassen?
    Wann wollte

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