Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
Vom Netzwerk:
verteufelt weh. Plötzlich purzelten sie und Claud kopfüber, erhaschten einen kurzen Blick auf ein Fleckchen Himmel, und dann wurde ein dreckiger Mantel oder sonst ein Lumpen über den Karton geworfen. Die Kinder rannten so schnell, daß die beiden in ihrem Pappge-fängnis ordentlich durchgeschüttelt wurden. Es ging eine Treppe hinunter, und dann wurden Maud und Claud auf den Fußboden eines lichtdurchfluteten Raums gekippt.
    Eine Frau rief irgend etwas.
    Die Kinder, zwei Jungen, lachten.
    240
    Maud flatterte auf den Tisch. Sie waren in der Küche eines der Häuser, in die sie und Claud schon oft durch ein Fenster im Souterrain hineingespäht hatten.
    »Was habt ihr denn mit denen vor?… I-igitt!«
    Claud hatte sich auf den Rand des Spülsteins geflüchtet.
    Einer der Jungen setzte ihm nach, und Claud hopste vom Becken herunter in eine Ecke bei der Tür, die einen Spaltbreit offenstand.
    Ein Junge streute Brotkrumen auf den Boden, aber Claud nahm keine Notiz davon. Ihn interessierte nur die Tür. Maud sah das wohl, aber was nützte eine offene Tür, wenn es nirgends sonst im Haus ein Schlupfloch gab?
    Maud ließ etwas fallen.
    Die Frau quittierte es mit einem Aufschrei. Gut! Maud wußte aus Erfahrung, daß so ein kleiner Klecks viel bedeuten und viel bewirken konnte. Unter anderem konnte man damit seine Verachtung zum Ausdruck bringen. Maud war ein paarmal getreten worden, als sie auf eigenem Terrain, am Trafalgar Square, gekackt hatte, obwohl es dort gar nicht lästerlich gemeint war. Aber die Menschen waren eben nicht normal, sie waren verrückt, die meisten jedenfalls. Man wußte nie, wie sie sich verhalten würden.
    Eben noch Erdnüsse, und im nächsten Moment ein Knüppel.
    Die Frau zeterte immer noch, und die Jungen, die mit ausgebreiteten Armen auf Claud Jagd machten, brüllten dazwischen. Claud flatterte auf und ließ eine Losung fallen, die einem der Jungen ins Gesicht klatschte. Gelächter.
    Claud landete taumelnd und schwankend auf einer Wä-
    scheleine, die knapp unter der Decke gespannt war.
    241
    Ein großer, schwerer Mann mit dröhnender Stimme kam herein. Maud haßte ihn auf den ersten Blick. Er hielt eine lange, belfernde Predigt, dann beugte er sich zu Maud hinunter und sprach in sanfterem Ton mit ihr. Maud wich zwei Schritt zurück und schlug dabei den Porzellandeckel von irgendeinem Gefäß herunter. Aber sie behielt den Mann im Auge und machte sich bereit, zu Claud hinauf –
    zuflüchten, falls der Mensch noch näher kommen sollte.
    Der Mann ging aus der Küche.
    Die Frau stand unterdessen am Herd und röstete Popcorn. Maud und Claud erkannten es am Duft. Die Kinder alberten derweil kichernd am Spülbecken herum.
    Der Mann kam mit einer Art hohem Dreifuß zurück.
    Grelles Licht flammte auf. Maud und Claud begriffen. Das gleiche hatten sie, wenn auch in größerer Aufmachung, schon am Trafalgar Square gesehen: Dreifüße, bewegliche Podeste, scheußlich gleißende Lichter überall, die die Nacht zum Tag machten. Jetzt leuchtete der Mann Maud genau in die Augen, und sie drehte sich geblendet im Kreis.
    Die Kamera surrte. Maud hätte gern wieder etwas fallen lassen, aber momentan konnte sie nicht.
    »Popcorn!« befahl der Mann.
    »Kommt sofort!« rief die Frau und schwenkte die Pfanne so, daß sie mit Claud zusammenprallte, der eben sein Glück am Fenster versuchen wollte. Er hatte gehofft, das Oberlicht stünde vielleicht offen, aber bevor er das überprüfen konnte, lag er schon auf der Seite am Boden.
    Doch er rappelte sich wieder hoch, als die Frau etwas Popcorn neben ihn streute. Claud fuhr zurück, als ob es Gift gewesen wäre.
    242
    »Haha!« lachte der Mann. »Scheuch sie wieder hoch, Simon!«
    Das kleinere der beiden Scheusale fuchtelte mit den Armen vor Maud herum, während der andere Knabe drohend auf Claud zustapfte.
    Maud und Claud schwangen sich unter wildem Flügelschlagen vom Boden auf. Claud plumpste wie ein gemä-
    steter Adler auf den Kopf des Größeren nieder und krallte sich in seinen Haaren fest.
    »Aua!« schrie der Junge.
    Maud begnügte sich mit zwei deftigen Schnabelhieben in die Wangen des Kleineren und zerkratzte ihn nach Kräften, ehe sie sich gerade noch rechtzeitig vor der Faust des Mannes in Sicherheit brachte. Maud begriff, daß sie um ihr Leben kämpften. Und sie und Claud saßen in der Falle.
    Die Frau rückte Claud mit dem Besen zu Leibe, ver-fehlte ihn aber ein ums andere Mal. »Macht das Fenster auf! Scheucht sie raus!«
    »Denen dreh ich den Kragen um!

Weitere Kostenlose Bücher