Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
Vom Netzwerk:
sie denn zurück sein?«
    Joël, dem auch in Mamies Frage die Schadenfreude nicht entging, lächelte leise. Lucys nachmittägliche Zer-streuungen waren allgemein bekannt. »Normalerweise ist sie zu Hause, wenn ich von der Arbeit komme«, gab Joël, ganz loyaler Ehemann, zur Antwort. »Sie könnte natürlich zum Supermarkt gegangen sein, aber ich bin schon seit halb sechs daheim.«
    »Tja, tut mir leid, daß ich dir nicht helfen kann, Joël.«
    Das Telefon blieb an diesem Abend stumm. Joël und Lucy hatten heute in ein Autokino gehen wollen, allein.
    Eine Verabredung hatten sie erst morgen wieder. Da wollten sie sich mit Gert und Stan Merrill in Manhattan zu einem zeitigen Abendessen mit anschließendem Theaterbe-such treffen. Stan hatte die Karten besorgt.
    Es war gegen zehn, als Joël sich zwang, das Schlafzimmer zu betreten. Er holte die Armeedecke, die sie nur für Notfälle aufbewahrten, aus dem Schrank und warf sie Lucy über, nachdem er ihre Beine angewinkelt, ihre Arme verschränkt und die Leiche so klein wie möglich zusam-mengestaucht hatte. Dann schloß er das Schlafzimmer ab 250
    und legte sich im Wohnzimmer aufs Sofa.
    Er schlief nicht gut in dieser Nacht, nutzte aber die wa-chen Phasen, um über Robbie Vanderholt nachzudenken.
    Robbie war um die Dreißig, dunkelhaarig, ein gutbezahlter Buchhalter in einer Firma in Philadelphia. Lucy hatte ihn auf einer Party bei den Merrills kennengelernt. Oder war es eine Party in Philadelphia gewesen? Egal. Robbie hatte die Angewohnheit, ausgiebig mit dem Zeigefinger an seiner Nase zu rubbeln, wobei er manchmal gleichzeitig mit den Füßen scharrte. Und dann hatte er noch so ein eigenartiges Zucken um den Mund. Was auf Frauen anscheinend charmant und jungenhaft wirkte; Joël dagegen fand es ungefähr so verführerisch wie einen epileptischen Anfall.
    Und hinter Robbies gefälliger Fassade lauerte ein ar-rogantes, aggressives Naturell. Er bevorzugte saloppe Kleidung und trug am Wochenende besonders gern Kordhosen und Sportmütze. Joël besaß keine Mütze, aber eine alte braune Kordhose, die hatte er.
    Sein Plan war kühn und gewagt, ja, er würde in aller Öffentlichkeit ablaufen, aber Joël hielt Verwegenheit für die klügste Strategie.
    Am nächsten Morgen riskierte Joël noch ein Telefonat und rief die Zabriskies an. Die Zabriskies hatten drei Kinder, und Lucy sprang manchmal ein, wenn sie außer der Reihe einen Babysitter brauchten. Mrs. Zabriskie holte sie dann immer von zu Hause ab, weil die Lucas nur ein Auto hatten, und das brauchte Joël beruflich. Lucy war auch nicht bei den Zabriskies.
    »Ich dachte, sie hätte vielleicht bei euch übernachtet«, sagte Joël düster. »Ich hab sie seit gestern morgen nicht 251
    mehr gesehen.«
    »Du meine Güte!« rief Mrs. Zabriskie. »Vielleicht ist sie
    …«
    Joël stellte sich vor, daß sie süffisant lächelte, gleichzeitig aber – auch wenn das Telefon ihr Mienenspiel nicht übertragen konnte – vorsichtshalber die Stirn in Falten legte. Vielleicht ist sie bei einem Liebhaber, hatte Hazel sagen wollen. »Tja, dann telefoniere ich noch mal 'n bißchen rum«, sagte Joël.
    Als er die Kordhose anzog, fiel ihm plötzlich eine Mütze ein, die ihm irgend jemand vor Jahren zu Weihnachten geschenkt hatte. Er mußte auf dem Dachboden drei Kleiderkoffer durchsuchen, aber schließlich fand er sie doch – eine Kappe mit schwarzweißem Hahnentrittmuster, die verräterisch neu aussah, aber das würde sich schon geben, wenn er ein paarmal damit über den Garagenboden wischte, und es war ungefährlicher, diese Mütze aufzuset-zen, als irgendwo eine zu kaufen. Joël ging mit der Kappe hinunter. Erst fuhr er sein Auto in die Garage, dann schaffte er Lucys Leiche, in die Decke gehüllt, durch die Tür, die neben dem Wohnzimmer direkt vom Haus in die Garage führte, zum Wagen. In der Art, wie er sie zwischen Vorder- und Rücksitz auf den Boden pferchte, drückte sich seine Verachtung aus. Dann holte er den Spaten, warf eine Rolle Bindegarn und drei, vier alte Rupfensäcke von einem Stapel in der Ecke auf den Rücksitz und fuhr hinauf in die Hügel, auf der Suche nach der Kiefernschonung, die er neulich dort gesehen hatte.
    Daß die befestigte Straße zu Ende war, merkte er daran, daß Split und Schotter gegen die Kotflügel prasselten. Die 252
    Gegend wäre ein ideales Ausflugsgebiet für Pfadfinder gewesen, doch Joël sah nirgends welche. Und er begegnete auch sonst niemandem. Mittlerweile befand er sich in einem naturbelassenen

Weitere Kostenlose Bücher