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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Aaron. Keine von Veras Prophe-zeiungen hatte sich erfüllt: Er war nicht vor die Hunde gegangen, hatte weder gesundheitlich Schaden genommen noch seine Stelle verloren oder sonst etwas eingebüßt. Er hatte bei der Post in East Orange gekündigt, war nach Copperville, New Jersey, gezogen und hatte auf dem dor-tigen Postamt ohne weiteres einen vergleichbaren Posten bekommen.
    »Zum Teufel mit ihr«, brummte Aaron und zog die zu-sammengefaltete Zeitung neben seinen Teller. Seine Augen wanderten über die Zeilen, ohne daß er aufgenommen hätte, was er las. Er aß gleichmäßig, weder schnell noch langsam. Er stand auf, nahm sich eine zweite Portion und machte die Pfanne leer. Auch seine Kinder sollten sich zum Teufel scheren. Billy war inzwischen vierundzwanzig –
    nein, siebenundzwanzig –, und Edith hatte mit ihren dreiundzwanzig Jahren selber bereits drei Kinder von diesem Proleten, den sie geheiratet hatte. Ja, es hatte einmal eine Zeit, gegeben, da hatte Aaron große Pläne gehabt mit seinen Kindern, und Billy war ja auch brav aufs College gegangen und geprüfter Buchhalter geworden.
    Aber Edith hatte sich im zweiten Studienjahr in einen Holzkopf verliebt, der weder Akademiker war, noch Geld 271
    hatte, und den sie trotzdem heiratete. Aaron war außer sich gewesen vor Wut und hatte versucht, die Ehe annullieren zu lassen, doch leider war Edith bereits schwanger gewesen, so daß eine Annullierung nicht in Frage kam.
    Aaron hatte geschäumt – und hatte er vielleicht nicht allen Grund dazu gehabt und überdies recht behalten, wo die beiden doch jetzt mit ihren drei Gören in irgendeinem Slum in Philadelphia hausten? –, aber Billy hatte Edith in Schutz genommen und Vera ebenfalls. Für Aaron war das, als ob seine ganze kleine Welt plötzlich verrückt geworden wäre, als ob man die vorgeschriebene Ordnung der Dinge auf den Kopf gestellt hätte. Er ganz allein mußte den gesunden Menschenverstand verteidigen, mußte für Bildung und Lebensart einstehen, während seine eigene Familie sich gegen ihn verschwor, ihn und all das verriet, wofür er sich seit der Geburt der Kinder und schon davor abgerackert hatte. Eines Tages war Aaron dermaßen in Wut geraten, daß er das ganze Haus verwüstete. Er hatte die Bilder von den Wänden gerissen und war darauf herumgetrampelt, hatte die Vorhänge heruntergezerrt und das ganze Geschirr auf dem Fußboden zerschlagen. Vera war darüber in Tränen ausgebrochen und hatte gedroht, sie würde ihn verlassen. Was sie dann auch tat. Und er hatte sie gehen lassen.
    »Laß sie«, murmelte Aaron vor sich hin, während er in kleinen Schlucken seinen Pulverkaffee trank. »Laß sie!« Er konnte froh sein, daß er sie los war mit ihrem ewigen Geschwätz von psychiatrischer Hilfe und geistlichem Bei-stand … »Pah!« sagte Aaron verächtlich. Dennoch war sein Blut für einen Moment in Wallung geraten. Aber er 272
    beruhigte sich gleich wieder. Noch nie im Leben war es ihm so gut gegangen wie jetzt. Unabhängigkeit hatte eine Menge für sich. Er sparte heutzutage auch mehr als in all den Jahren seit seiner Heirat. Letzten Sommer hatte er schon mit dem Gedanken an eine Kreuzfahrt zu den Westindischen Inseln gespielt, aber dann hatte er die Reise verschoben und dieses Jahr wieder. Nun, eines Sommers würde er statt dessen nach Europa fahren, ohnehin interessanter als Westindien, das einfach nur näher und billiger war. Doch, er konnte mit seinem Leben zufrieden sein, bis auf die gräßlichen Kollegen im Postamt. Die verleideten ihm seine Arbeit, und all die Apparate und Stempel und Waagen und sonstigen Gerätschaften. Seit drei Jahren war er nun in Copperville, und es gab Zeiten, da schien es nicht so lange, und andere, in denen es ihm wesentlich länger vorkam. Heute abend schien es nicht so lange.
    Roger Hoolihan hatte einen Sohn im College und einen auf der Highschool. Eine Frau hatte er natürlich auch.
    Aaron zuckte die Achseln. Für Mitleid war jetzt nicht die Zeit.
    Er wusch das Geschirr ab, weichte zwei Oberhemden und einen Schlafanzug in einem Waschzuber ein und ging früh zu Bett. Schlafen war Aarons Passion. Er schlief jede Nacht zehn Stunden.
    Am nächsten Morgen schien die Sonne, und das Ther-mometer neben Aarons Haustür zeigte angenehme achtzehn Grad. Aarons Haus stand hinter dem größeren seines Vermieters, am einen Ende der Zufahrt zur Garage, in der sein Vermieter sein Auto, einen hellblauen Buick, unter-273
    stellte. Der kleine Trampelpfad, der von Aarons Eingang bis zur

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