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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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hübschen Mädchen zusammenzubringen, das noch zu haben war.
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    Joël gefiel sich in der Rolle des Witwers, der auch ein halbes Jahr nach der Ermordung seiner Frau noch so fassungslos war über den Verlust, daß er sich keine neue Verbindung vorstellen konnte, obwohl seine Freunde inzwischen freiheraus sagten, daß er eine bessere Frau verdient habe, als Lucy ihm gewesen sei.
    Eines Abends gegen neun – Joël hatte es sich gerade mit einem Bier vor einem vielversprechenden Fernsehspiel bequem gemacht – klingelte es an der Haustür. Es war Betty Newman von nebenan.
    »Oh, hallo«, sagte Joël überrascht. »Bitte, kommen Sie rein.«
    »Danke.« Betty trug hochhackige Schuhe, und als sie an Joël vorbeiging, streifte ihn ein Hauch von Parfüm.
    »Ich wollte mir grade was im Fernsehen anschauen«, sagte Joël. »Möchten Sie –«
    »Ich bin nicht in der Stimmung«, unterbrach ihn Betty.
    Ein paar Minuten später war klar, wofür sie in Stimmung war, und Joël war platt. Betty hatte ihn seit Lucys Tod ein paarmal zum Essen eingeladen, dabei aber nicht die Spur einer romantischen oder gar sexuellen Neigung erkennen lassen. Joël versuchte sie abzuwimmeln, so taktvoll es irgend ging.
    »Nicht doch, Betty. Ich fühle mich ja sehr geschmeichelt, aber… ich bin wohl eher der altmodische Typ. Für lieh liegt nach wie vor das einzig wahre Glück in der Ehe, undich würde lieber –«
    »Das trifft sich gut, ich habe nämlich ernste Absichten«, sagte Betty, die sich inzwischen, ein Glas Bier in der Hand, 265
    entspannt auf seinem Sofa zurückgelehnt hatte. Mit den stark geschminkten Lippen und den rougeverschmierten Wangen wirkte ihr schwammiges Gesicht noch unattraktiver als sonst.
    »Tja… für mich ist es noch viel zu früh, um wieder ans Heiraten zu denken.«
    »Ach, wirklich? Ich finde, das solltest du dir lieber noch mal überlegen. Ich weiß nämlich Bescheid über dein kleines Geheimnis, Joël. Und gewartet habe ich doch weiß Gott lange genug, meinst du nicht?«
    Da begriff Joël, und ihm gefror das Blut in den Adern.
    Umständlich richtete er sich in seinem Sessel auf. »Wovon sprichst du?« fragte er mit verkrampftem Lächeln und dachte dabei: Betty hat vielleicht einen Verdacht, aber sie kann nichts beweisen. Vielleicht hatte sie ihn an jenem Samstagmorgen aus der Garage fahren sehen, aber die Leiche auf dem Boden des Wagens, zwischen Vorder- und Rücksitz, die hatte sie bestimmt nicht gesehen.
    »Ich weiß, was du denkst«, sagte Betty. »Aber ich habe gesehen, wie Robbie Vanderholt an dem bewußten Nachmittag um Viertel nach fünf gegangen ist – und zwar allein! Ohne Leiche unterm Arm. Kurz danach kamst du nach Hause.« Sie hielt inne und wartete.
    »Das hast du dir doch bloß ausgedacht, Betty.«
    »O nein! Und wenn du mir nicht ein bißchen mehr ent-gegenkommst, dann gehe ich mit meinen Beobachtungen zur Polizei. Bei der ich mich ja bisher äußerst kooperativ verhalten habe – von deiner Warte aus betrachtet!«
    Joël kniff die Wangen ein. Auf einmal stand ihm sein 266
    Leben vor Augen, wie es an Bettys Seite sein würde: Er sah eine lange Reihe von Jahren, die er ihre schlaffen Brüste würde ertragen müssen, die Hängebacken und diesen gräßlichen sommersprossigen Idioten von einem Sohn, der gewiß auch Teil des Handels war. Eine Perspektive wie geschaffen dafür, einen zweiten Mord zu begehen. Außer, daß das Risiko viel zu groß wäre und er sich einen zweiten Mord niemals leisten könnte. Oder vielleicht doch?
    Betty schlug ihre stämmigen Beine übereinander. Sie schien sich ihrer Sache vollkommen sicher zu sein. »Ich werde alles tun, um dich glücklich zu machen, Joël. Na, was meinst du? Glaubst du nicht, wir könnten es schön haben miteinander, wir zwei?« Sie setzte ihr gewinnendstes Lächeln auf.
    Sein Herz schlingerte wie ein verdorbener Magen.
    »Doch, klar, Betty. Sicher könnten wir das.«
    »Dann ist es also abgemacht?«
    »Abgemacht«, sagte Joël.
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    Wer ist hier verrückt?

    Aaron ging in die Küche und wusch sich die Hände gründlich mit der gelben Flüssigseife, die er zum Geschirr-spülen benutzte. Dann setzte er sich an den Tisch, der ihm Eß- und Schreibtisch zugleich war, und schlug die graue Kladde auf, die ihm als Tagebuch diente. Er schrieb: Aaron Wechsler kam um zehn nach sechs von der Arbeit nach Hause. Nach Schalterschluß um fünf war er ausnahmsweise noch ein paar Minuten geblieben und hatte beim Sortieren der Post geholfen, nur damit es so aussah, als ob

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