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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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glaube, ich feiere heute nachmittag krank.« Aaron versuchte die Erinnerung daran wegzuschieben. Also konzentrierte er sich auf die Namen und die Postfachnummern auf den Kuverts, die er sortierte. Mrs. Lily Foster, Lily Foster, Lily Foster. Eine Geschiedene. Sie hatte ein Hutgeschäft in der Stadt, und niemand bekam so viel Post wie sie.
    »Na, Aaron«, sagte Roger, als er sein Jackett weggehängt hatte, »wie war's, wollen Sie heute morgen nicht mal das Monster ölen?« Und er wies mit dem Kopf auf die über einen Meter hohe schwarze Maschine, die zwei Meter hinter ihm frei im Raum stand.
    Aaron nickte zurück und rang sich sogar ein gequältes Lächeln ab. Du bist mehr wert als er, sagte Aaron sich im stillen, darum mußt du zuvorkommender sein. Aber er vermied es, das verhaßte Maschinenmonstrum anzusehen.
    Er hatte einmal gewußt, wozu es gut war, doch irgendwie hatte er dieses Wissen aus seinem Kopf gestrichen, und jetzt hatte er keine Ahnung mehr, wozu das Ding taugte, er wußte es ehrlich nicht. Es sah aus wie eine gestauchte Guillotine, als ob ein Riese seine Pranke auf eine Guillotine gedrückt und sie fast bis zur Unkenntlichkeit zusammengequetscht hätte. Ja, was stellte es doch gleich vor?
    Eine Waage? Einen Apparat, der einen Stapel Briefe von einem Meter Durchmesser auf fünfundzwanzig Zentimeter zusammenpreßte? Eine Maschine, die den Leuten die Hände zermalmte? Die Füße? Die Köpfe? Damit will ich nichts zu tun haben! Aaron hatte immer noch die Stimme 277
    im Ohr, mit der er Mac angeschrien hatte – vor einem Monat? Vor einem halben Jahr? –, als der ihn aufforderte, irgendeinen Arbeitsgang an diesem Gerät zu übernehmen.
    Weiter aber konnte Aaron sich an nichts erinnern, und er lächelte zufrieden. Nein, er wußte nicht, wozu die schwarze Maschine gut war, und er wollte und würde es auch nicht lernen. Kündigen konnten sie ihm deswegen nicht.
    Sie konnten ihn nicht rauswerfen, er war Beamter, hatte vor dem Eintritt in den Staatsdienst alle erforderlichen Prüfungen bestanden und war folglich unkündbar.
    Doch vielleicht würde er von sich aus gehen, weil dieses Gedudel den ganzen Tag ihn verrückt machte. Aaron, der diese Art Musik zum Sterben fand, erinnerte sich, wie er einmal in New York mit dem Aufzug zu einem gefürchte-ten Termin gefahren war – zu einem Arzt? Zum Zahnarzt?
    – und wie von der Decke des Fahrstuhls auch so ein un-säglicher Klangbrei heruntergequollen war, süßliche Streichakkorde, die vielleicht zur Beruhigung gedacht waren, ihn aber ebensowenig beschwichtigten, wie sie einem Todeskandidaten den Weg zur Hinrichtung erleichtert hätten. Schon weil jeder Trottel wußte, daß solche Musik dazu diente, Dinge zu beschönigen oder zu kaschieren, die so entsetzlich waren, daß sie das Fassungsvermögen eines menschlichen Hirns sprengten.
    Die Briefträger trudelten ein. Aaron nickte ihnen zu und beantwortete ihr »Morgen, Aaron« oder auch nur
    »Morgen« mit einem unartikulierten Gegrummel. Bobbie kam und half ihm beim Sortieren. Inzwischen war es Viertel vor neun geworden. Bobbie war fix. Aaron zwang sich, auch einen Zahn zuzulegen; er tat es nicht gern, aber hinter 278
    einem wie Bobbie MacAllister wollte er keinesfalls zurückstehen. Bobbie hatte immer noch den Babyspeck und die Pickel eines Teenagers. Aaron sagte sich, daß er an ihm ganz schön was zu schleppen haben würde, wenn es soweit war.
    Trotzdem begann er noch am selben Nachmittag,
    Bobbies Vernichtung zu planen. Das nahm ihn so in Anspruch, daß er ein paar Minuten untätig hinter seinem Schalter saß, obwohl etliche Kunden anstanden, die Pakete wiegen lassen oder Briefmarken kaufen wollten. Roger kam herüber und sagte ungeduldig:
    »Reißen Sie sich zusammen, Aaron. Die Leute stehen ja schon Schlange!«
    Aaron sah ihn an und dachte: Du bist tot, Roger. Du kannst mich nicht mehr schikanieren. Du bist tot, auch wenn du's anscheinend noch gar nicht gemerkt hast. Dann lächelte er und machte sich gut gelaunt wieder an die Arbeit.
    Jeden Abend feilte Aaron, meist in seinem Tagebuch, weil er schwarz auf weiß besser denken konnte, weiter an dem Mordplan für Bobbie MacAllister. Mittendrin hatte er auf einmal den Eindruck, Bobbies Vater Mac sei für sein Konzept das passendere Opfer, beziehungsweise sein Konzept eigne sich besser für Mac. Als Tatwaffe war ein Messer vorgesehen, und da Mac schlanker war als Bobbie, würde er bei ihm nicht so fest zuzustechen brauchen. Und eines Morgens nahm Aaron sein

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