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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Schnitzmesser mit zur Arbeit und erstach Mac kurz nach fünf Uhr nachmittags, als nur noch sie beide im Postamt waren. Er erstach Mac just in dem Moment, als der einen Arm hob, um sein 279
    Jackett vom Kleiderhaken zu nehmen. Mac konnte sich gerade noch verdutzt nach ihm umdrehen, dann sackte er auch schon in sich zusammen. Aaron ließ ihn am Boden liegen, stieg über die Leiche hinweg und ging.
    Er beschrieb den Mord ausführlich in seinem Tagebuch.
    Eine ganze Seite füllte er mit seiner gedrängten Schrift.
    Am nächsten Morgen sprach er weder mit Roger noch mit Mac. Beide waren tot. Natürlich mußte er ihnen einoder zweimal zunicken, nicht grüßenderweise, sondern als Antwort auf etwas, was sie ihm mitteilten oder ihm auftru-gen, aber das war nicht dasselbe wie ein Gespräch oder gar eine Unterhaltung mit ihnen. Etwa zehn Tage vergingen, und die argwöhnischen Blicke, die Mac und Roger und Bobbie und sogar einige der Austräger ihm zuwarfen, störten Aaron nicht im geringsten. Man konnte einem Menschen nichts anhaben, nur weil er nicht redete, oder?
    In sein Tagebuch schrieb er:
    Seltsam, diese wandelnden Toten im Postamt. Seltsam auch die Vorstellung, daß ich dort bald der einzige Lebende sein werde. Eines Tages werde ich aus dem leeren Amt rausmarschieren und hinter mir abschließen –
    nachdem ich zuvor die Dudelmusik ausgestellt habe. Ich werde der einzige Überlebende sein. Bobbie ist der nächste, und dann kommen die Austräger dran, vielleicht Vincent zuerst, denn ich bin seinen Kaugummiatem leid, und leid bin ich's auch, daß er mir jeden Morgen, wenn ich ihm nur nahe genug komme, auf die Schulter klopft.
    Aaron schrieb jeden Abend Tagebuch, und jeden Mittag, wenn er zum Essen nach Hause kam, notierte er mindestens noch einmal eine halbe Seite dazu. Hin und wieder 280
    gab es auch einen Eintrag, der nichts mit dem Postamt oder mit seinem Leben zu tun hatte, wie etwa:
    Was ist nur mit Präsident Kennedy los? Wie kann er einerseits Abrüstung und Frieden predigen und uns im gleichen Atemzug vorrechnen, wie viele Milliarden zu-sätzlich wir für die Rüstung benötigen, für Atomraketen und so weiter? Ergibt das einen Sinn? Wer ist hier verrückt?
    Aaron wollte Bobbie mit einem Hammer erschlagen.
    Der erste Hieb würde ihn betäuben, was bei einem so großen und kräftigen Kerl wie Bobbie unbedingt erforderlich war, und die weiteren Schläge würden ihm den Rest geben. Aaron sägte vom Stiel seines Hammers zwölf Zentimeter ab, damit er sich unauffällig in der Manteltasche verstauen ließ. Der Tag, an dem er den Hammer mit zur Arbeit nahm, war der 10. November, ein Freitag. Er wollte Bobbie nachgehen, wenn der Feierabend machte. Aaron wußte, daß das kurz vor fünf sein würde, da Bobbie freitags immer schon sehr zeitig mit Helen verabredet war.
    An dem Tag ließ Bobbie Aaron nicht aus den Augen. Irgend etwas schien ihm Kopfzerbrechen zu machen, so wie er die dichten schwarzen Brauen runzelte, und immer, wenn Aaron zu Bobbie hinsah, fand er dessen Blick auch auf sich gerichtet, oder Bobbie spürte sofort, wenn er ihn beobachtete, und erwiderte seinen Blick. Das ging so lange, bis Aaron entschied, dies sei doch nicht der rechte Tag für seine Tat. Als Bobbie um fünf immer noch da war, nahm Aaron seinen Mantel und wandte sich zum Gehen.
    Sehr zu seinem Ärger holte jetzt auch Bobbie seinen Mantel und schloß sich ihm an.
    281
    »Hören Sie, Aaron –«
    »Ich muß da lang«, fiel Aaron ihm ins Wort. Sein Heimweg führte in eine andere Richtung als der von Bobbie und Mac.
    »Macht nichts, ich begleite Sie ein Stück. Hören Sie, Aaron, was ist los mit Ihnen? Ich meine, in letzter Zeit?«
    Bobbie hielt mühelos mit ihm Schritt, obwohl Aaron eine scharfe Gangart eingeschlagen hatte.
    »In letzter Zeit?« wiederholte Aaron und lachte nervös.
    »Nichts.«
    »Also nicht, daß es mich was anginge, Aaron, und ich will mich auch nicht einmischen, aber wenn Sie… falls Sie sauer sind auf einen von uns, dann war's doch besser, Sie sagen's uns, oder?«
    Das »uns« reizte Aaron, klang es doch so, als hätte die ganze Bagage sich gegen ihn verschworen. »Ich möchte aber nicht drüber reden«, sagte Aaron.
    »Oh…« Bobbie schien jetzt noch verwirrter als schon den ganzen Tag über. »Das heißt also, Ihnen ist was gegen den Strich gegangen, aber Sie wollen nicht darüber sprechen.«
    »Stimmt genau«, sagte Aaron mit Nachdruck.
    »Aha. … Ja, also Dad und ich, wir gehen morgen nachmittag Hufeisen werfen und

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