Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Augen der Toten 01 - Die Augen der Toten Teil 1

Die Augen der Toten 01 - Die Augen der Toten Teil 1

Titel: Die Augen der Toten 01 - Die Augen der Toten Teil 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Lütke-Bohmert
Vom Netzwerk:
trat ich ein. Beekmann stand mit dem Rücken zu mir am offenen Fenster und schwang einen imaginären Taktstock. Er musste einen Luftzug verspürt haben, denn mit einem Mal drehte er sich um und lächelte.
    „Welch passender Auftritt, Herr Kramer.“ Er legte einen Finger an die Lippen und schloss die Augen. Wenn er sich von mir in einer peinlichen Situation ertappt fühlte, so ließ er es sich nicht anmerken. „Die Götterdämmerung“, flüsterte er. „Dritter Aufzug, zweite Szene.“
    Ich räusperte mich. „Können wir anfangen? Ich bin nicht hier, um mir Heldensagenoperetten anzuhören.“
    Beekmann öffnete die Augen und strafte mich wie üblich mit Verachtung. „Der Ring des Nibelungen ist eine Oper, junger Mann, keine Operette. Ihre Bildung lässt zu wünschen übrig.“ Er hüstelte gekünstelt. „Dito Ihre Manieren.“
    Ich betrachtete die füllige Gestalt, wie sie an mir vorbeistolzierte und sich hinter dem Schreibtisch niederließ. Trotz der Gehbehinderung strahlten Beekmanns Bewegungen etwas Majestätisches aus. Er griff nach der Fernbedienung, drückte eine Taste, und die Götterdämmerung erstarb. Ich nahm die Minianlage auf einem der Regale neben dem Fenster in Augenschein. Das edle Wunderwerk der Technik wirkte wie ein Fremdkörper. Alles andere im Büro des Dekans war Nostalgie pur. Ein antiker Globus auf einem meterhohen Messingfuß. Nautische Instrumente in einer hüfthohen Vitrine. Darüber ein Brett, auf dem Seemannsknoten angebracht waren. An den Wänden hingen mittelalterliche Weltkarten und Regale voller Skulpturen und Artefakte. Ovale Holzrahmen mit vergilbten Schwarzweißfotos zierten die Wand hinter Beekmanns Schreibtisch. Einige Motive zeigten Segeljachten, alte Straßen und Häuserzeilen. Andere erinnerten mich an den germanischen Körperkult von Leni Riefenstahl. Ein blonder, muskulöser Athlet in diversen Laufposen. Eines der Bilder war eine Vergrößerung. Es zeigte nur das Gesicht des Läufers: schwitzend, von Anstrengung gezeichnet.
    Ich stutzte. Die harten Gesichtszüge. Die zusammengepressten Lippen. War das möglich? Walter Beekmann als Sportskanone? Nein, die Aufnahme war zu alt. Sein Vater?
    Beekmann machte keine Anstalten, mir einen Platz anzubieten. Er stützte die Ellenbogen auf und gaffte mich, die Hände unter dem Kinn gefaltet, einfach nur an. Anscheinend war es an mir, das Gespräch zu eröffnen.
    „Was versprechen Sie sich eigentlich von diesem Kammerspiel?“, fragte ich und setzte mich an die andere Seite des Schreibtisches. Beekmann ließ sich Zeit. Als er schließlich antwortete, hatte er seine Stimme mit einem Hauch von Ironie und einer Nuance beißenden Spotts angereichert.
    „Kann es sein, dass Sie die missliche Lage, in der Sie sich befinden, ein wenig verkennen, mein junger Freund?“
    „Sie wissen doch hoffentlich, dass sie mit dieser Inszenierung niemals durchkommen werden?“
    „Nein? Ist dem so?“ Da war er, jener unbeschreiblich arrogante Tonfall. „Darf ich fragen, woher Sie diesen bemerkenswerten Optimismus nehmen, Herr Kramer?“
    „Sie sind derjenige, der in der Beweispflicht steht, Professor“, entgegnete ich.
    Beekmann lehnte sich in seinem Chefsessel zurück. „Und was lässt Sie glauben, dass mir dies schwer fallen könnte?“
    „Ich habe mit Franks Selbstmord nicht das Geringste zu tun. Niemand kann mir das Gegenteil nachweisen.“
    „Kramer, Kramer, Sie bemerken den Strick nicht einmal, wenn Sie zuckend am Galgen baumeln.“ Beekmann stieß ein grollendes Lachen aus. „Glauben Sie mir, Ihre Tage an dieser Universität sind gezählt. Wenn Sie einen gutgemeinten Ratschlag hören wollen: Lernen Sie etwas Solides.“
    So wie Beekmann das letzte Wort betont hatte, konnte ich mir unschwer vorstellen, welche Berufsbilder ihm dabei vorschwebten: Dachdecker, Klempner, Fliesenleger. Nach nur wenigen Minuten in Beekmanns Gegenwart konnte ich meinen seit Jahren angewachsenen Groll nur mit Mühe im Zaum halten.
    „Es ist mir egal, ob Sie ein Problem mit mir haben. Ich vertrete nicht Ihre Interessen, ich bin Sprachrohr der Studenten. Ob es Ihnen gefällt oder nicht, Sie haben nicht das Recht, mir den Mund zu verbieten.“
    Beekmanns Mimik bekam eine süffisante Note. Zweifellos genoss er die Situation. „Machen Sie sich nicht wichtiger als Sie sind, Kramer. Sie sind niemandes Sprachrohr.“ Er nahm einen mit Perlmutt besetzten Brieföffner vom Schreibtisch und spielte damit an einem Fingernagel. „Wenn ich es wollte, würde mich das Ende

Weitere Kostenlose Bücher