Die Augen der Toten 02 - Die Augen der Toten Teil 2
mein Gesicht in den Händen. „Wie ist die Polizei denn überhaupt informiert worden? Lassen Sie mich raten: Ein anonymer Anruf, habe ich recht?“ Rensings Miene verriet, dass ich ins Schwarze getroffen hatte. „Man will mich aus dem Weg haben. Das ist doch offensichtlich.“
„Soll ich Ihnen mal sagen, wie das für den Richter aussehen wird, Herr Kramer? Will Ihnen das denn nicht in den Kopf? Man wird Anklage gegen Sie erheben.“
„Das glauben Sie doch selber nicht.“
„Was ich glaube, ist egal, Philip.“
Rensings Blick hatte etwas Mitfühlendes.
In der Nacht plagten mich die Gesichter der Toten: Frank Laurenz. Walter Beekmann. Selbst die ausgemergelten Züge meines Vaters, porös wie die einer Gipsmaske, reihten sich ein in den Karneval der körperlosen Fratzen.
Ich wälzte mich auf meiner Pritsche hin und her. Setzte mich schließlich auf und schlang mir die dünne Decke um die Schultern. Rieb die Handflächen aneinander. Mir war kalt.
Was mir am meisten zusetzte, war der Zeitpunkt von Beekmanns Ermordung. Er hatte angedeutet, Frank entlasten zu können. Seinen Namen reinwaschen zu können. Jetzt war Beekmann tot, und ich saß in U-Haft. Obendrein war auch noch Stefan Marcks unauffindbar. Was, wenn er nicht wieder auftauchte?
Rensing hielt mich für unschuldig. Davon war ich überzeugt. Aber was konnte er schon ausrichten, wenn mein Alibi wie eine Seifenblase platzen würde? War es denkbar, dass die Indizienbeweise gegen mich für eine Verurteilung ausreichten? Die Attacke in Beekmanns Büro im Philosophischen Seminar fiel mir wieder ein. Für den Vorfall gab es Zeugen. Musste ich tatsächlich befürchten, als Mörder in den Knast zu wandern?
Blödsinn! Morgen früh würde Stefan im Präsidium seine Aussage zu Protokoll geben und mich entlasten. Und dann? Wie sollte es dann weitergehen? Wie passte der Mord an Beekmann in dieses nicht enden wollende Drama?
Erstes Opfer: Dr. Sören Pape. Chirurg am Universitätsklinikum. Drogenhändler und Kinderschänder.
Zweites Opfer: Frank Laurenz. Angehender Doktor der Philosophie. Unheilbar krank. Ein durchgeknallter Mörder? Ein verzweifelter Selbstmörder?
Drittes Opfer: Professor Walter Beekmann. Dekan des Fachbereichs Geschichte und Philosophie. Großmeister der Bruderschaft Deus Ex Machina.
Was hatten die Opfer gemein? Wo war der rote Faden? Und wo zum Teufel steckte Stefan?
Als der Wärter, der die ganze Nacht in der Nähe meiner Zelle auf dem Korridor gesessen hatte, die Tür aufschloss und mich aufforderte, ihm zu folgen, war ich überzeugt, zumindest auf die letzte Frage eine Antwort gefunden zu haben. Müde trottete ich hinter dem Uniformierten her und überlegte, wie ich Rensing von meinem Verdacht überzeugen könnte. Wir erreichten Zimmer 121. Mit einer wortlosen Geste forderte mich der Beamte auf einzutreten.
Rensing saß am Tisch. Neben ihm, eine dampfende Tasse in der Hand, kauerte sein Schatten Karl Hagner.
„Setzen Sie sich bitte“, eröffnete Rensing die neuerliche Runde. „Möchten Sie einen Kaffee?“
Ich bejahte, und Hagner nahm eine Tasse vom Tablett.
„Milch oder Zucker?“
„Schwarz. Danke. Haben Sie Stefan gefunden?“
Ich war überzeugt, die Antwort zu kennen.
„Nein“, erwiderte Rensing. „Ich habe einen Wagen vor seiner Wohnung postiert. Er ist nicht gekommen.“
„Er wird auch nicht kommen“, murmelte ich.
„Wie meinen Sie das?“
„Ich bin ein leichtgläubiger Idiot. Ich habe nicht eine Sekunde darüber nachgedacht, dass es eine ziemlich unwahrscheinliche Aneinanderreihung von Zufällen gewesen sein muss, die Stefan immer zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Orten auftauchen ließ. Er sitzt auf den Treppen hinter dem Rathaus, als Eva dort eine Führung hält. Er taucht wie aus dem Nichts an der Aa auf, als ich aus Beekmanns Büro komme. Er überredet mich zu einem unbeobachteten Spaziergang, als Beekmann in dessen Haus in unmittelbarer Nähe getötet wird. Wie konnte ich nur so blind sein? Er hat über jeden meiner Schritte Bescheid gewusst. Ich habe keine Ahnung, mit wem er sich zusammengetan hat, aber eines ist sicher: Stefan Marcks gehört zu den Bösen.“
Rensing nickte. Ich fragte mich, ob mir eine Mittäterschaft Stefans eher zum Vorteil oder zum Nachteil gereichte.
„Haben Sie eine Idee, was seine Motive betrifft? Warum hätte Stefan Marcks in der Sache mitmischen sollen?“
„Ich habe keinen blassen Schimmer, Herr Rensing. Letztes Jahr bin ich mal auf einer Party in Stefans
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