Die Augen der Ueberwelt
gekommen?
Vorsichtig drückte Cugel nun mit Absicht auf einen Karfunkel – durch Zufall den gleichen – und wieder erklang das Stöhnen.
Verwundert versuchte Cugel es bei einem anderen. Nun antwortete ein erbarmungswürdiges Wimmern, zweifellos das einer anderen Stimme. Verwirrt schüttelte Cugel den Kopf. Nacheinander drückte er auf jeden Karfunkel, und jedesmal ertönte eine andere Art von Wehlaut oder Klageruf. Wieder untersuchte er das Amulett eingehend, doch außer dem Stöhnen, Ächzen, Wimmern und Schluchzen, das er ihm durch Drücken entlockte, offenbarte es keine Fähigkeiten, und so wurde Cugel der Beschäftigung mit ihm bald leid.
Die Sonne erreichte den Mittag. Cugel stillte seinen Hunger mit Algen, die er durch Berührung mit Iucounus magischem Plättchen nahrhaft machte. Während er aß, war ihm, als hörte er Stimmen und unbeschwertes Lachen, doch so leise und undeutlich, daß er nicht sicher war, ob ihm nicht die sanfte Brandung diese Laute vorgaukelte. Da fiel sein Blick auf eine felsige, kurze Landzunge. Er lauschte angespannt und war nun sicher, daß die Stimmen aus ihrer Richtung kamen. Sie waren klar, kindlich und voll unschuldiger Fröhlichkeit.
Er kletterte auf den Felsen. An der Spitze der Landzunge, gegen die die dunklen Wogen brandeten und wo das Wasser weit aufgewühlter war als am Strand, hatten vier große Muscheln angelegt und sich geöffnet. Nackte Schultern und Arme ragten heraus und hübsche runde Köpfe mit weichen Wangen, blaugrauen Augen und Büscheln hellen Haares. Die niedlichen Geschöpfe tauchten die Finger ins Wasser und zogen aus den Tropfen Fäden, die sie geschickt zu feinem Stoff woben. Als Cugels Schatten auf das Wasser fiel, zogen sie sich sofort ganz in ihre Muscheln zurück und schlossen sie.
»Warum das?« rief Cugel belustigt. »Schließt ihr euch beim Anblick eines fremden Gesichts immer ein? Seid ihr denn so furchtsam? Oder nur verdrossen?«
Die Muscheln blieben, wie sie waren. Dunkles Wasser wirbelte über die schwach gerillte Oberfläche.
Cugel trat einen Schritt näher, kauerte sich auf die Fersen und legte den Kopf schief. »Oder seid ihr stolz, daß ihr euch vor Verachtung zurückzieht? Oder kann es sein, daß ihr euch nicht zu benehmen wißt?«
Auch jetzt bekam er keine Antwort. Er blieb, wo er war, und begann, eine Weise zu trillern, die er auf dem Jahrmarkt von Azenomei gehört hatte.
Nach einiger Zeit öffnete sich eine Muschel ganz am Ende der Landzunge, und Augen spähten heraus. Cugel pfiff noch ein paar Takte, dann sagte er: »Öffnet euer Gehäuse! Hier wartet ein Fremder, der gern den Weg nach Cil wissen möchte und noch so einiges Wichtiges!«
Eine zweite Muschel öffnete sich, und ein Augenpaar schimmerte im Dunkel des Innern.
»Vielleicht seid ihr unwissend«, spöttelte Cugel. »Vielleicht wißt ihr über nicht mehr Bescheid als die Farbe der Fische und die Nässe des Wassers.«
Die erste Muschel öffnete sich etwas weiter, weit genug, daß Cugel das verärgerte Gesichtchen sehen konnte. »Wir sind keineswegs unwissend!« hörte er.
»Auch nicht träge oder ohne Manieren, und wir verachten niemanden!« rief die zweite.
Cugel nickte verständnisvoll. »Das mag wohl sein. Aber warum zieht ihr euch so plötzlich zurück, nur weil sich jemand nähert?«
»Das liegt in unserer Natur«, antwortete das erste Muschelgeschöpf. »Es gibt so einige Meeresbewohner, die uns nur zu gern überraschen und fangen möchten. Darum ist es klüger, sich zuerst in Sicherheit zu bringen und dann erst vorsichtig nachzusehen.«
Jetzt waren alle vier Muscheln offen, allerdings keineswegs so weit wie zuvor, ehe sie ihn bemerkt hatten.
»Nun gut.« Er blickte sie der Reihe nach an. »Was könnt ihr mir über Cil sagen. Werden Fremde dort freundlich aufgenommen oder verjagt? Gibt es Herbergen? Oder muß ein Wanderer im Straßengraben schlafen?«
»Dergleichen liegt jenseits unseres Wissens«, erklärte ihm das erste Muschelgeschöpf. Es öffnete sein Gehäuse nun ganz und schob bleiche Arme und Schultern heraus. »Wenn die Gerüchte, die man hier im Meer hört, stimmen, sind die Ciler verschlossen und mißtrauisch, selbst ihrer Herrscherin gegenüber, einem noch ganz jungen Mädchen aus dem uralten Geschlecht derer von Domber.«
»Da geht der alte Slaye«, sagte ein anderes. »Er kehrt heute schon früh zu seiner Hütte zurück.«
Ein drittes kicherte. »Slaye ist alt. Nie wird er das Amulett finden, und so wird das Haus Domber über Cil herrschen,
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