Die Augen der Überwelt
Erkerfenster hoch an den Wänden. Unten befanden sich Kästen, Truhen, Regale und Ständer mit allen möglichen Dingen: Iucounus wundersame Sammlung.
Angespannt blieb Cugel lauschend stehen. Die Art der Stille hier beruhigte ihn. Es war die Stille der Leere. Trotzdem, er war immerhin in die Burg Iucounus, des Lachenden Magiers, eingedrungen, und so war Vorsicht geboten.
Cugel stieg eine Wendeltreppe hinunter in die große Halle. Verzückt schaute er sich um und zollte Iucounu uneingeschränkte Bewunderung. Aber seine Zeit war knapp. Er mußte schnell zugreifen und zusehen, daß er fortkam. Er öffnete seinen Sack, schritt durch die Halle und wählte mit Bedacht jene Dinge, die gering an Umfang, doch groß an Wert waren: ein kleines Tiegelchen mit seltsamem Geweih, das Wölkchen erstaunlicher Gase ausströmte, wenn man das Gehörn leicht drehte; ein Elfenbeinhorn, aus dem Stimmen der Vergangenheit erklangen; eine winzige Bühne, auf der kostümierte Kobolde bereit für eine vergnügliche Vorstellung waren; etwas, das wie eine Traube mit kristallenen Beeren aussah, von denen jede einzelne Traube einen verschwommenen Blick in eine Dämonenwelt bot; ein Stock, dem Zuckerwerk in verschiedenen Geschmacksrichtungen entsproß; ein sehr alter Ring mit Runenzeichen; ein schwarzer Stein, umgeben von neun Zonen undeutbarer Farben. An Hunderten von Döschen und Fläschchen mit Pulvern und Flüssigkeiten ging er vorbei, genau wie an Gläsern mit eingelegten Köpfen, bis er zu den Regalen mit Büchern und Schriftstücken kam. Hier traf er eine sorgfältige Auswahl und nahm vor allem jene Werke, die in rotem Samt gebunden waren – Phandaals Lieblingsfarbe. Auch Hefte und lose Bögen mit Zeichnungen und Karten eignete er sich an. Ein muffiger Geruch ging von den Ledereinbänden aus.
Kurz bevor er den Kreis der runden Halle geschlossen hatte, gelangte er zu einem Glasschrank mit zwanzig kleinen Metalltruhen, die mit zeitzerfressenen Eisenbändern versiegelt waren. Auf gut Glück griff er nach dreien. Sie waren erstaunlich schwer. Danach kam er zu mehreren großen Maschinen, die er sich gerne näher angesehen hätte, um herauszufinden, wozu sie dienten, doch die Zeit schritt fort, und eigentlich hätte er schon auf dem Rückweg nach Azenomei und Fianosthers Verkaufsstand sein sollen ...
Cugel runzelte die Stirn. In vielerlei Hinsicht erschien ihm das nicht so wünschenswert. Fianosther würde wohl kaum den vollen Preis für seine Ware bezahlen, oder genauer gesagt, für Iucounus Ware. Es wäre sicher nicht unangebracht, einen Teil der Beute an einem einsamen Ort zu vergraben ... Ah, da war ein Alkoven, der Cugel bisher nicht aufgefallen war. Ein weiches Licht quoll wie Wasser gegen die Kristallscheibe, die den kleinen Raum von der Halle trennte. In einer Nische am hinteren Ende war ein atemberaubendes Wunderwerk ausgestellt. Es sah aus wie ein winziges Karussell, auf dem sich zwölf wie lebend wirkende Puppen vergnügten. Das Wunderwerk war zweifellos von hohem Wert, und Cugel freute sich, als er eine Öffnung in der Kristallscheibe entdeckte.
Er trat hindurch, doch zwei Fuß weiter versperrte ihm eine zweite Scheibe den Weg, der Gang dazwischen führte offenbar zu dem sich drehenden Wunderwerk. Zuversichtlich folgte Cugel ihm, wurde jedoch erneut von einer Scheibe aufgehalten, die er erst sah, als er dagegen prallte. Cugel kehrte den Gang zurück und fand zu seiner Erleichterung den zweifellos richtigen Eingang ein paar Fuß entfernt. Aber dieser neue Gang führte ihn um mehrere rechtwinklige Abbiegungen zu einer neuen Scheibe. Cugel beschloß, auf das Karussell zu verzichten und die Burg zu verlassen. Er drehte sich um und schaute sich verwirrt um. Welche Richtung mußte er nehmen? War er von links gekommen? Oder von rechts?
Cugel suchte immer noch nach einem Ausgang, als schließlich Iucounu in sein Zuhause zurückkehrte.
Mit amüsiertem Erstaunen blieb der Lachende Magier vor dem Alkoven stehen. »Was haben wir denn da? Einen Besucher? Wie unhöflich von mir, Euch so lange warten zu lassen! Aber wie ich sehe, habt Ihr Euch inzwischen vergnügt, und so brauche ich mir keine Vorwürfe zu machen.« Schmunzelnd verzog er die Lippen und tat, als bemerke er jetzt erst Cugels Sack. »Was ist das? Ihr habt mir etwas zur Ansicht mitgebracht? Wie schön! Ich bin stets bereit, meine Sammlung zu bereichern, um mit dem Zahn der Zeit Schritt zu halten. Ihr würdet staunen, wüßtet Ihr von den Halunken, die mich berauben möchten!
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