Die Augen des Drachen - Roman
wie das Licht in ihrem gemeinsamen Traum. Die Nacht schien sehr schwarz zu sein. Ben konnte Schnee in diesem Wind riechen. Eine Menge Schnee, dachte er.
Naomi schien seine Gedanken zu lesen. »Ich glaube, es könnte einer von den schrecklichen Stürmen im Anzug sein, von denen die Alten erzählen. Was meinst du?«
»Dasselbe.«
Mit einem Zögern, das ganz und gar nicht zu ihrer sonst so freimütigen Art passte, fragte Naomi: »Was hat der Traum zu bedeuten, Ben?«
Er schüttelte den Kopf. »Kann ich nicht sagen. Gefahr für Peter, so viel ist klar. Und wenn er sonst noch etwas bedeutet, das ich herauslesen kann, dann, dass wir uns beeilen müssen.« Er sah sie mit so dringlicher Direktheit an, dass ihr Herzschlag schneller zu werden schien. »Können wir Peynas Haus morgen erreichen, was meinst du?«
»Es sollte möglich sein. Außer den Göttern kann niemand sagen, ob sich nicht ein Hund ein Bein bricht oder ein Killerbär, der aus seinem Winterschlaf aufschreckt,
aus dem Wald herauskommt und uns alle auffrisst, aber … ja, wir müssten es schaffen können. Ich habe alle Hunde ausgewechselt, die ich für den Hinweg eingesetzt habe, ausgenommen Frisky, und Frisky ist fast unermüdlich. Wenn der Schnee früh kommt, wirft uns das zurück, aber ich glaube, er wird warten … und warten … und mit jeder Stunde, die er wartet, wird der Sturm schlimmer werden. Glaube ich jedenfalls. Aber wenn das Unwetter wartet, und wenn wir abwechselnd neben dem Schlitten herlaufen, dann können wir es schaffen. Aber was können wir dort tun - doch nur herumsitzen und warten, bis dein Freund, der Diener, zurückkommt.«
»Ich weiß nicht.« Ben seufzte und rieb sich mit einer Hand das Gesicht. Was konnten sie tun? Was immer der Traum bedeuten sollte, es würde im Schloss stattfinden und nicht im Haus. Peyna hatte Dennis ins Schloss geschickt, aber wie wollte Dennis hineingelangen? Ben wusste es nicht, weil Dennis es Peyna nicht verraten hatte. Und selbst wenn Dennis unbemerkt hineingelangte, wo wollte er sich verstecken? Es gab tausend mögliche Verstecke. Aber …
»Ben!«
»Was?« Er schreckte aus seinen Gedanken auf und wandte sich zu ihr.
»Woran hast du gerade gedacht?«
»An nichts.«
»Doch. An irgendetwas. Deine Augen haben richtig geleuchtet.«
»Wirklich? Dann muss ich an Kuchen gedacht haben. Es wird Zeit, dass wir beide uns hinlegen. Wir wollen in aller Frühe weiter.«
Aber im Zelt lag Ben noch lange wach, nachdem Naomi schon eingeschlafen war. Es gab tausend Plätze im Schloss, wo man sich verstecken konnte, aber er dachte an zwei ganz spezielle. Er war überzeugt, dass er Dennis an einem finden würde … oder dem anderen.
Schließlich schlief er ein …
… und träumte von Flagg.
95
Peter begann den Sonntag wie immer mit seinen Übungen und einem Gebet.
Als er erwachte, hatte er sich frisch und bereit gefühlt. Nachdem er rasch zum Himmel aufgesehen hatte, um festzustellen, wie sich der bevorstehende Sturm entwickelte, aß er sein Frühstück.
Und selbstverständlich benutzte er seine Serviette.
96
Am Sonntagmittag war jeder Bewohner von Delain mindestens einmal vor das Haus getreten, um besorgt nach Norden zu schauen. Alle waren sich darin einig, dass der bevorstehende Sturm einer sein würde, von dem man sich noch jahrelang würde Geschichten erzählen können. Die heranziehenden Wolken waren von einem stumpfen Grau, der Farbe von Wolfspelzen. Die Temperatur stieg an, bis die Eiszapfen, welche unter den Dachvorsprüngen hingen, zum ersten Mal seit Wochen zu tropfen begannen, aber die Ältesten erzählen einander (und jedem, der ihnen zuhörte), dass sie sich davon nicht täuschen lassen würden. Die Temperatur würde rasch wieder fallen, und Stunden später - vielleicht zwei, vielleicht vier - würde es zu schneien beginnen. Und das, sagten sie, konnte dann tagelang andauern.
Um drei Uhr an diesem Nachmittag hatten die Bauern der Inneren Baronien, die sich noch so glücklich schätzen konnten, über Vieh zu verfügen, dieses in die Ställe getrieben. Die Kühe verliehen laut muhend ihrer Enttäuschung Ausdruck; der Schnee war zum ersten Mal seit Monaten genügend geschmolzen, dass sie wieder an dem trockenen Gras vom letzten Herbst darunter zupfen konnten. Yosef, der älter und grauer geworden, für seine zweiundsiebzig aber immer noch recht rüstig war, vergewisserte sich, dass alle Pferde des Königs in den Stallungen waren. Wahrscheinlich gab es auch jemanden,
der sich um die Männer des
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