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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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an zu knurren - mittlerweile hätten
selbst die verhassten Rüben wie Köstlichkeiten geschmeckt -, aber das Essen, dachte er, musste warten).
    Er ging weiter in die geräumige Kammer hinein. Die Stapel waren so hoch, der Weg so verschlungen, dass er sich wie in einem Irrgarten vorkam. Von den Servietten ging ein angenehmer, trockener Baumwollgeruch aus. Schließlich stand er in einer entfernten Ecke, und er rechnete sich aus, dass er hier sicher sein würde. Er stieß einen Stapel Servietten um, breitete sie aus und nahm eine Handvoll als Kissen.
    Es war bei Weitem die luxuriöseste Matratze, auf der er je gelegen hatte, und nach seinem langen Marsch und den Schrecken der Nacht war er zwar hungrig, brauchte den Schlaf aber wesentlich dringender, als etwas zu essen. Binnen kürzester Zeit war er eingeschlafen, keine Träume suchten seinen Schlaf heim. Wir werden ihn nun dort verlassen, nachdem er den ersten Teil seiner Aufgabe so tapfer und erfolgreich ausgeführt hat. Wir werden ihn dort zurücklassen, auf der Seite liegend, eine Hand unter die rechte Wange geschoben, auf seinem Bett aus königlichen Servietten. Und ich möchte dir eines wünschen, Leser - dass dein Schlaf in dieser Nacht so süß und ruhig sein möge, wie es seiner an diesem Tag war.

94
    Samstagnacht, als Dennis entsetzt dem Heulen des Wolfs gelauscht und gespürt hatte, wie der Schatten von Flaggs Gedanken über ihn hinwegglitt, hatten Ben Staad und Naomi Reechul ihr Lager in einer Mulde im Schnee dreißig Meilen nördlich von Peynas Bauernhaus aufgeschlagen … oder besser gesagt Peynas ehemaligem Bauernhaus, das sein Eigen gewesen war, bevor Dennis mit der Geschichte von einem König zu ihm gekommen war, der im Schlaf wandelte und redete.
    Sie machten ein behelfsmäßiges Lager, wie man es eben macht, wenn man lediglich ein paar Stunden bleiben und dann weiterziehen will. Naomi hatte sich um ihre geliebten Schlittenhunde gekümmert, während Ben ein kleines Zelt aufbaute und ein prasselndes Feuer entfachte.
    Kurz darauf kam Naomi zu ihm ans Feuer und grillte Hirschfleisch. Sie aßen schweigend, dann sah Naomi nochmals nach den Hunden. Alle schliefen, mit Ausnahme von Frisky, ihrem Liebling. Frisky sah sie mit beinahe menschlichen Augen an und leckte ihr die Hände.
    »Gut gezogen heute, meine Gute«, sagte Naomi.
    »Schlaf jetzt. Fang dir einen Mondhasen.«
    Frisky senkte gehorsam den Kopf auf die Pfoten. Naomi lächelte und ging zum Feuer zurück. Ben saß davor, er hatte die Knie zur Brust hochgezogen und die
Arme um sie geschlungen. Sein Gesicht war ernst und nachdenklich.
    »Es wird schneien.«
    »Ich kann die Wolken so gut wie du lesen, Ben Staad. Und die Feen haben einen Ring um Prinz Ailons Kopf gezaubert.«
    Ben sah zum Mond und nickte. Dann starrte er wieder ins Feuer. »Ich mache mir Sorgen. Ich hatte Träume von … nun, von einem, dessen Namen man besser nicht ausspricht.«
    Sie zündete sich eine Zigarre an. Sie hielt ihm das kleine Päckchen hin, das in Musselin eingewickelt war, damit es nicht austrocknete, aber Ben schüttelte den Kopf.
    »Ich glaube, ich hatte dieselben Träume«, sagte sie. Sie versuchte, ihre Stimme so beiläufig wie möglich klingen zu lassen, aber ein leichtes Zittern verriet sie.
    Er sah sie mit weit aufgerissenen Augen an.
    »Jawohl«, sagte sie, als hätte er gefragt. »Er blickt in ein helles, strahlendes Ding und spricht Prinz Peters Namen. Ich war nie eine Zimperliese, die beim Anblick einer Maus oder einer Spinne kreischend davonläuft, aber wenn ich aus diesem Traum erwache, ist mir wirklich nach Schreien zumute.«
    Sie sah beschämt und trotzig zugleich aus.
    »Seit wie vielen Nächten hast du diesen Traum?«
    »Seit zweien.«
    »Ich habe ihn schon seit vieren. Meiner ist genau wie deiner. Und du musst mich nicht so ansehen, als würde ich dich auslachen oder dich Gänslein, das am Brunnen weint, nennen. Ich möchte auch schreien, wenn ich erwache.«

    »Dieses helle Ding … am Ende meines Traums scheint er es auszublasen. Ist es eine Kerze, was meinst du?«
    »Nein. Du weißt, dass es keine Kerze ist.«
    Sie nickte.
    Ben überlegte. »Ich glaube, es ist etwas ungleich Gefährlicheres als eine Kerze … ich nehme doch die Zigarre, die du mir angeboten hast, wenn ich darf.«
    Sie gab ihm eine. Er zündete sie am Feuer an. Sie saßen eine Weile schweigend nebeneinander und sahen zu, wie die Funken zum dunklen Wind emporstoben, der mit Netzen aus Pulverschnee am Himmel fischte. Die Funken gingen aus,

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