Die Augen des Drachen - Roman
entlang, dann eine Treppe hinab, über eine Galerie. Er bewegte sich mit großer Sicherheit, denn er hatte sein ganzes bisheriges Leben im Schloss verbracht. Ganz sicher kannte er es gut genug, um den Weg vom Ostflügel, wo er aus dem Abflussrohr gekommen war, zum Westflügel zu finden, wo die Servietten aufbewahrt wurden.
Aber weil er nicht gesehen werden wollte - von niemandem -, schlich Dennis die abgelegensten Flure entlang, die er kannte, und beim leisesten Geräusch von Schritten (echt oder eingebildet, und ich glaube, viele bildete er sich nur ein) kauerte er sich in die nächstgelegene Nische. Schließlich brauchte er länger als eine Stunde.
Er hatte den Eindruck, noch nie in seinem Leben so hungrig gewesen zu sein.
Vergiss jetzt deinen verflixten Magen, Dennis - kümmere dich erst um deinen Herrn, dann um deinen Bauch.
Er stand im tiefen Schatten eines Torbogens. Ganz leise hörte er den Nachtwächter vier Uhr rufen. Er wollte gerade weitergehen, als langsame, hallende Schritte
den Korridor entlangkamen … klappernder Stahl, knirschendes Leder.
Dennis drückte sich schwitzend noch tiefer in den Schatten.
Ein Wachsoldat blieb direkt vor der in einem schmalen Schatten liegenden Tür stehen, wo Dennis sich versteckte. Der Mann blieb einen Augenblick stehen und bohrte sich mit dem kleinen Finger in der Nase, dann beugte er sich nach vorn und blies einen Strahl Rotz zwischen den Fingern heraus. Dennis hätte den Arm ausstrecken und ihn berühren können, und er war sich sicher, dass der Mann sich jeden Augenblick umdrehen … die Augen aufreißen … das Kurzschwert ziehen würde … und das wäre das Ende von Dennis, Brandons Sohn.
Bitte, flüsterte Dennis’ schreckensstarrer Verstand. Bitte, o bitte …
Er konnte den Soldaten riechen, konnte alten Wein und angebranntes Fleisch in seinem Atem riechen, den sauren Schweiß, der aus seiner Haut drang.
Der Soldat begann weiterzugehen … Dennis entspannte sich … dann blieb der Soldat wieder stehen und begann erneut, sich in der Nase zu bohren. Dennis hätte schreien mögen.
»Ich hab’n Mädchen, die heißt Marchy-Marchy-Melda«, begann der Soldat mit tiefer, dröhnender Stimme zu singen, während er ununterbrochen in der Nase bohrte. Er holte ein großes, grünes Etwas heraus, untersuchte es sorgfältig und schnippte es dann an die gegenüberliegende Wand. Platsch . »Sie hat’ne Schwester namens Es-a-merelda … Befahren würd ich die Meere so weit … könnt ich einmal nur küssen ihr Knie unter’m
Kleid! Tootie-sing-da, sing-di … und gib mir einen Humpen Wein!«
Nun widerfuhr Dennis etwas außerordentlich Schreckliches. Seine Nase begann auf eine Art und Weise zu jucken und zu kitzeln, die überhaupt keinen Zweifel aufkommen ließ. Sehr bald würde er niesen müssen.
Geh!, brüllte er in Gedanken. Warum verschwindest du denn nicht, du Dummkopf?
Aber der Soldat schien nicht die Absicht zu haben, bald zu verschwinden. Offensichtlich hatte er im linken Nasenloch einen reichhaltigen Vorrat entdeckt, und den wollte er zu Tage fördern.
»Ich hab’n Mädchen, die heißt Darchy-Darchy-Darla … Sie hat’ne Schwester namens Rotschopf-Carla… ach wären doch tausend Küsse nur mein … von ihren Lippen so rot und fein … Tootie-sing-da, sing-di… und gib mir einen Humpen Wein.«
Ich werde dir eine ganze Flasche Wein über den SCHÄDEL schlagen, du Narr!, dachte Dennis. Geh WEITER!! Das Jucken in seiner Nase wurde immer schlimmer, aber er wagte nicht einmal, sie anzufassen, so sehr hatte er Angst, der Soldat könnte die Bewegung aus den Augenwinkeln heraus sehen.
Der Soldat runzelte die Stirn, beugte sich nach vorn, schnäuzte sich nochmals die Nase zwischen den Fingern und ging schließlich weiter, wobei er immer noch sein Lied grölte. Er war kaum verschwunden, da riss Dennis den Arm vors Gesicht und nieste in die Ellbogenbeuge. Er wartete auf den metallischen Laut, mit dem der Soldat sein Kurzschwert ziehen und zurückkehren würde, aber der Bursche war ziemlich dösig und immer noch betrunken von dem Gelage, an dem er teilgenommen
hatte, bevor seine Pflicht begann. Einst, dachte Dennis, wäre eine so pflichtvergessene Kreatur rasch entdeckt und in die äußersten Provinzen des Königsreichs geschickt worden, aber die Zeiten hatten sich geändert. Er hörte das Klicken eines Riegels, das Quietschen von Scharnieren, als eine Tür geöffnet wurde, die dann krachend ins Schloss fiel und das Lied des Soldaten abschnitt, als er gerade wieder
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