Die Augen Rasputins
später, bereits mit dem leichten Mantel über dem Arm, die Küche wieder betrat, wirkte er überrascht.
»Du hast es ja verdammt eilig, hier wegzukommen «, meinte er mit einem Lächeln, das sie nicht deuten konnte. Vielleicht war er einfach nur glücklich.
»War wohl doch nicht so das Wahre, oder? «
stellte er fest und fragte anschließend:
»Willst du deinem Mann nicht irgendwas aufschreiben? Du kannst doch nicht einfach ohne ein Wort von hier verschwinden. «
»Warum nicht? «
fragte sie, doch dann besann sie sich.
»Hast du einen Stift? «
Er griff in die Hemdtasche, zog einen Kugelschreiber heraus und hielt ihn ihr hin. Sie ging noch einmal zum Tisch, drehte das alte Foto zu sich herum. Sie wirkte ein bißchen unschlüssig, lächelte verlegen, zögerte sekundenlang, als müßte sie sich erst noch ein paar Worte zurechtlegen, ehe sie auf den Rand schrieb: Es tut mir leid, Ed. Er las mit, während sie schrieb, runzelte die Stirn dabei. Als sie ihm den Kugelschreiber zurückgab, fragte er:
»Mehr hast du ihm nicht zu sagen? Und du meinst, das reicht? «
Sie nickte nur.
»Vielleicht hast du recht «, meinte er.
»Hast ihm ja sicher auch mehr als einmal erzählt, wie das damals war mit uns. Da kann er sich den Rest bestimmt denken. «
Sie nickte noch einmal, drehte sich um und ging rasch zur Tür, durch die Diele, auf die Haustür zu, im Vorbeigehen nahm sie noch ihre Handtasche und hängte sie sich mit dem Riemen über die Schulter. Das Herz hatte aufgehört zu flattern, es war jetzt ganz steif vor Erwartung und von diesem Schuldgefühl. Es tut mir leid, Ed. Etwas anderes konnte sie nicht denken. Wie er da vor dem Schreibtisch des Polizisten saß, den Kopf voll mit Furcht, eher schon Panik, war Edmund sich durchaus bewußt, welchen Eindruck er machen mußte. Ein betrogener, ein verlassener, ein eifersüchtiger Ehemann, der alles tat, um den Nebenbuhler außer Gefecht zu setzen. Aber so war es doch nicht. Da war die Klageschrift von damals. Edmund hatte den Wortlaut im Kopf, als hätte er es erst gestern gelesen. Bewaffneter Raubüberfall auf einen Goldschmied. Schwere Körperverletzung an Albert Retling, den Patrizia in ihrem Tagebuch als einen netten, freundlichen, friedfertigen, älteren Herrn bezeichnete. Zum Zeitpunkt des Überfalls Ende Fünfzig, zierlich, fast knabenhaft wirkend, der zusammen mit seiner etwa gleichaltrigen Frau ein von außen völlig normal wirkendes Einfamilienhaus in Köln-Raderberg bewohnte. Niemand sah diesem Haus an, daß es eine kleine, kaum einnehmbare Festung war. Albert Retling hatte kein Juweliergeschäft betrieben, er hatte Juweliere beliefert und die oft etwas ausgefallenen und immer sehr kostspieligen Wünsche gut betuchter Kunden erfüllt. Es gab keine Verkaufsräume, kein Schaufenster, nicht einmal ein Schild, das einen Passanten hätte aufmerksam machen können. Es gab nur die Werkstatt im Keller, von außen nicht zu erreichen, von innen durch eine schwere Stahltür gesichert. Es gab einen Tresor und eine Alarmanlage, die auf ein gewaltsames Eindringen von außen reagierte. Ed hatte damals geahnt, daß da noch mehr sein mußte, als er Paul die Gerichtsakten abverlangte. Er hatte sich nicht geirrt. In der Klageschrift war von einem Schlüsselbund die Rede, den Heiko Schramm auf niederträchtige Weise an sich gebracht hatte. Die Schlüssel zu Retlings Haus, die Albert Retling Patrizia aushändigte, weil in der Küche eine Gegensprechanlage zur Werkstatt installiert war. Weil er selbst sich meist schon frühmorgens in den Kellerräumen aufhielt und dort das Klingeln an der Haustür nicht hörte. Weil seine Frau eine mehrwöchige Kur antreten mußte, und die Zugehfrau kam immer erst am späten Vormittag. Und als seine Frau aus der Kur zurückkam, sagte Albert Retling:
»Behalte die Schlüssel nur, Patrizia, das hat doch gut funktioniert. «
Der Staatsanwalt hatte es einen besonderen Vertrauensbeweis genannt. Er hätte gern von Patrizia persönlich erfahren, wie die Schlüssel in Schramms Hände gelangt waren. Aber er mußte sich mit Schramms Aussage begnügen.
»Die habe ich ihr im Bus aus der Tasche genommen. Hat sie nichts von gemerkt. «
Und mehr hatte er, wie er selbst wieder und wieder betonte, nie von ihr gewollt, damals nicht. Und heute hatte Patrizia nicht mehr die Möglichkeit, einem hinterhältigen Ganoven zu einem Vermögen zu verhelfen. Heute mußte es um ganz etwas anderes gehen. Aber dieser betuliche Klotz hinter dem Schreibtisch
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