Die Augen Rasputins
Sorgen machen, Herr Bracht, obwohl dazu wahrscheinlich gar kein Anlaß besteht. Eine Entführung oder ein Racheakt, da muß ich meinen Kollegen recht geben, das halte ich für sehr weit hergeholt. Wahrscheinlich wird Ihre6 Frau sich in den nächsten Tagen bei Ihnen melden und eine etwas umfangreichere Erklärung abgeben als das hier. «
Er wedelte mit dem Zeitungsfetzen, wollte ihn loswerden, hatte es sogar sehr eilig damit. Ed war jetzt fast ruhig. Er zeigte auf das engumschlungene Paar in Kleibers Hand. Räuspern mußte er sich nicht.
»Das ist sieben Jahre her «
sagte er.
»Sie war zwei Jahre lang in therapeutischer Behandlung wegen dieser Geschichte. Sie war krank, und das hat sie auch begriffen. Sie ist seit Jahren geheilt. Verstehen Sie, was ich meine? «
Als Kleiber einmal kurz nickte, fügte Ed hinzu:
»Sie hatte nicht die Absicht, ihn jemals in ihrem Leben wiederzusehen. «
Kleiber nickte noch einmal wie in Gedanken versunken.
»Aber anscheinend wollte er sie wiedersehen. Und wenn er plötzlich vor der Tür stand. «
Er zuckte bedauernd mit den Achseln und ließ den Rest offen.
»Wenn er plötzlich vor der Tür stand «, griff Ed den Satz auf,»hätte sie ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen. «
Er hatte seine Stimme nicht mehr in der Gewalt, mußte sich räuspern, ehe er fortfahren konnte:
»Ich nehme an, er war bewaffnet, hat sie bedroht, sonst hätte sie ihn nicht hereingelassen. «
»Na, na «, mahnte Kleiber,»übertreiben Sie da nicht ein bißchen? Daß er sie großartig bedrohen mußte, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. «
Kleiber lächelte flüchtig, als wollte er sich damit für seine Ungläubigkeit entschuldigen. Dann sprach er weiter:
»Ich habe mich damals mit ihr unterhalten. Zu mehr als einmal bin ich leider nicht gekommen. Ihr Schwiegervater ist ein sehr einflußreicher Mann, damals war er jedenfalls einer. Der kam gleich mit einem psychiatrischen Gutachten hier an. Da hieß es, sie sei nicht vernehmungsfähig. «
67 Er schien immer noch ein wenig verprellt deswegen, starrte Edmund an, fast ein bißchen feindselig.
»Ich habe mich immer gefragt «, sagte er,»wie das Ding wohl zustande gekommen ist. Waren Sie das? «
Edmund schüttelte den Kopf, vermutlich hatte der Kollege, der ihn anschließend bat, Patrizias Behandlung zu übernehmen, das Gutachten erstellt. Vielleicht eine Gefälligkeit. Kleiber winkte ab.
»Ist ja egal, das Ding war jedenfalls ein Witz. Nicht vernehmungsfähig! Man konnte durchaus mit ihr reden. Aber das ist ja heute nicht mehr so wichtig. Wichtig war es damals eigentlich auch nicht, ärgerlich war es. Da waren ein paar Fragen, die ich ihr gerne gestellt hätte. Aber die hat Schramm uns dann beantwortet. «
Kleiber schaute wieder auf den Fetzen in seiner Hand.
»Er hat gar nicht erst den Versuch gemacht, etwas abzustreiten. «
Kleiber grinste, als er weitersprach:
»Und eine Menge getan, um die Kleine aus der Sache rauszuhalten. Wenn sie ihm wirklich so gleichgültig gewesen wäre, wie er es uns glauben machen wollte, hätte er sich nicht so viel Mühe gegeben. Muß ein Schock für ihn gewesen sein, festzustellen, daß sie inzwischen verheiratet ist. «
»Er wird sie umbringen «, sagte Edmund. Kleiber runzelte die Stirn, fehlte nur, daß er sich mit dem Finger daran tippte.
»Warum sollte er? «
»Warum hat er Albert Retling zum Krüppel geschlagen? «
Kleiber lächelte nur, ein bißchen mitleidig, wie es schien. Er kannte Schramms Aussage zu diesem Punkt ebensogut wie Edmund, vermutlich hatte er sie selbst zu Protokoll genommen. Daß Albert Retling vor Gericht ganz etwas anderes ausgesagt hatte, schien Kleiber nicht zu berühren. Im Zweifel für den Angeklagten! Edmund wußte, daß Kleiber ihm kein Wort glauben würde, wenn er versuchen sollte, Schramms tatsächliche Beweggründe zu erläutern. Vielleicht waren sie auch gar nicht zu erklären. Und vielleicht begründete sich Kleibers Desinteresse nur in der Tatsache, daß er wußte, welchem Beruf Edmund nachging. Durchschaut fühlte er sich bereits, als Edmund in etwas massiverem Ton feststellte, daß Kleiber doch selbst ein unübersehbares Interesse an Schramm zeige. Warum sonst rege er sich darüber auf, daß ihm dessen Entlassungstermin nicht rechtzeitig bekannt gegeben worden sei. Und wenn Kleiber, ein erfahrener Kriminalbeamter! – Edmund schaffte es, die Bemerkung so anzubringen, daß sie beiläufig und ehrlich und nicht nach einem
Weitere Kostenlose Bücher