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Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman

Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman

Titel: Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haymon
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Fehler passieren, kam es zu Variationen dieser Gene. Unter den so entstandenen verschiedenen Lebensformen sei es zum Wettbewerb gekommen, die natürliche Selektion habe eingesetzt, die Evolution habe ihren Lauf genommen. Milliarden Jahre lang zeigte sich vom Menschen nicht das geringste Anzeichen. Dieser trat, aufrecht auf zwei Beinen, seinen Gang erst vor knapp zwei Millionen Jahren an. In dieser kurzen Zeit habe eine im Vergleich zu anderen Lebewesen ungeheuer schnelle Evolution des Gehirns den Menschen zu dem gemacht, was er heute ist. Und ein Ende der Entwicklung sei nicht abzusehen: Unsere Erde sei noch bis zu fünf Milliarden Jahre dazu imstande, Leben zu erhalten. Man könne also davon ausgehen, dass der Mensch erst am Beginn seiner Evolution stehe, sich sein Gehirn und seine Fähigkeiten weiter entwickeln würden.
    Beim Anblick der rotgesichtigen Radfahrer in ihren engen Tour-de-France-Kostümen, die sich an den Weinständen drängten, schien Herrn Faustini erwiesen, dass das menschliche Gehirn noch in Entwicklung sei.
    Ob wir einen kleinen Lottoschein ausfüllen sollen?, meinte Emil und betrat schon die Papierwarenhandlung Nöser, die zugleich Post- und Lottostelle war. Zielstrebig griff sich Emil einen Lottoschein und einen Kugelschreiber und sah mit einem Ausdruck im Gesicht nach oben in eine Ecke des Schreibwarenladens, als stünden dort die Gewinnzahlen geschrieben. Herr Faustini las währenddessen die Schlagzeile der BILD: VORSICHT VOR DEM MANN MIT DEM SILBERBLICK!
    Ein Mann mit Glatze stand leicht schief hinter dem Ladentisch, an seiner Seite eine ältere Frau, die ohne Zweifel seine Mutter war, auch wenn sie noch Haare am Kopf hatte. Der Glatzenmann hatte zwar keinen Silberblick, leckte sich aber in regelmäßigen Abständen mit der Zunge über die Lippen, blitzschnell wie Herr Faustini es im Fernsehen bei einem Chamäleon gesehen hatte. Nur dass die Zunge des Chamäleons wie ein Lasso hervorschießt, ihre Beute packt und in den Schlund des Tieres führt. Herr Faustini bemerkte nun auch am Mund der älteren Frau die blitzschnell hervorschießende Zunge, begleitet von einem winzigen Augenschließen, als würde sie das Verschlingen der Beute genießen. Emil schien nichts von den chamäleonhaften Vorgängen bemerkt zu haben. Er füllte seinerseits mit über seine Oberlippe geklemmter Zunge den Lottoschein aus. Seine Zunge zeigte sich lange und ungeniert, während die von Mutter und Sohn ihre Arbeit schnell taten. Wieder schoss dem Sohn die Zunge aus dem Mund, und auch der Mutter geschah es so. Herr Faustini sah sich nach einem anderen Blickfang um.
    Im Hintergrund des Raumes versteckte sich ein Postschalter, hinter dem eine streng frisierte Frau in schwarzer Stretchbluse stand. Eben legte eine ältere Dame ein Paket an den Schalter. Die Frau mit der strengen Frisur besah sich das Paket, nahm mit einem Zittern eines Nasenflügels seine Witterung auf, zog einen Entenmund und schüttelte den Kopf.
    Des kann isch so nidd agzebtiere, ha näh! Sie drehte das Paket mehrmals nach allen Seiten, schüttelte den Kopf und meinte: Ha näh, so gehd des nidd!
    Die Frau, die ihr das Paket überreicht hatte, antwortete in einem Singsang: Hearn Se, isch häb mer so viel Mieh gäbbe zum des Pageed zu verpagge! Kenned Se denn käh Ausnahm mache?
    Ha näh!, kam es von der Postfrau. Do kann isch nix mache! Des isch nidd ordnungsgemääs. Näh! Und schob das Paket von sich.
    Auch die Paketaufgeberin zog nun einen Entenmund, flüsterte etwas in die Tiefe ihres Halses hinein, nahm das Paket und ging mit eingezogenem Kopf von dannen.
    Den Mann, der nun voller Zuversicht an den Paketschalter trat, um ein Eilpaket aufzugeben, empfing die Postfrau mit beiden Händen abwinkend: Dud mer lähd, isch mach jetzd Middach, isch nämm nix meh aa! Näh!
    Die Stretchbluse der Postfrau schimmerte losgelöst von allen anderen Dingen im Raum, während ihre Mundwinkel ein bitterfröhliches Lächeln formten. Das Lächeln erinnerte Herrn Faustini an das Grinsen eines Zwergkaktus auf einem Fenstersims in Frau Gigeles Haus. Die Stretchbluse indessen gab einen Hinweis auf die demnächst im Kurpfalzsaal erwartete zweite Edenkobener Modeschau. Mitwirkende der Modeschau waren laut Plakat unter anderem:
    Salon Susanne
    Haartreff Floretta
    Kosmetikstudio Stritzinger
    Fotoatelier am Eck
    Weingut Herbert Schäfer
    Holland Blumenladen
    Sport und Mode Guthy
    Blue District Modeboutique
    Lygia’s Geschenkelädchen
    Elsässer Käseläd’l
    Es wurden die Trends

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