Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman
Eine Enttäuschung habe es in der Stadt wohl gegeben, etwas mit Liebe vielleicht. Aber aus ihr sei nichts herauszubringen gewesen. Sie habe Emils Vater rufen lassen und ihm gesagt, der Antrag sei angenommen. So sei sie gewesen. Kein Wort zu viel. Bald wurde gehochzeitet. Emil nahm einen Schluck Wein und fuhr in die Stille hinein fort: Er sei als letzter von sieben Söhnen auf die Welt gekommen. Seine Mutter schaue ihm jetzt von da droben zu. Die Maritant habe ihn angerufen und es ihm gesagt. Sie rede jeden Tag mit seiner Mutter über ihn. Weil er der Maritant ihr Lieblingsneffe sei. Und weil seine Mutter ihn, den Jüngsten, besonders gemocht habe. Deshalb habe sie ihn auch besonders hart angefasst. Er sei als einziger in die Stadt gegangen zum Studieren. Aber in der Stadt verstehen sie einen wie mich nicht, sagte Emil. Dafür schaue seine Mutter ihm beim Wählen über die Schulter. Ob er auch brav die Volkspartei wähle, denn bei ihnen im Tal habe man immer Volkspartei gewählt. Damit alles in der Ordnung bleibe. Die Maritant habe vor der Wahl bei ihm, Emil, angerufen und ihm gesagt, die Mutter schaue ihm beim Wählen über die Schulter. Sie habe seiner Mutter versprechen müssen, dass sie sich um ihn kümmere, habe die Maritant gesagt. Er sei immer ihr Lieblingsneffe gewesen und sei es noch, habe sie gesagt. Ob ihn denn jemand mit seinem Gipsbein zum Wählen bringe?
Er wisse auch so, sagte Emil, dass seine Mutter ihn sehe. Auch am Abend schaue sie von der Zimmerdecke herunter, ob er brav sei. Drum mache er schnell das Licht aus. Er fahre der Mutter davon. Er müsse viel fahren, das tue ihm gut. So könne sie nicht auf ihn herabschauen. Weil in jeder Kleinbahn könne sie nicht sein.
Emil machte eine Pause und sah ins Nirgendwo.
Morgen muss ich nach Neustadt, sagte er. Ich muss mit dem Kuckucksbähnel ins Elmsteiner Tal.
Herr Faustini hatte Emil irgendwann untergehakt auf sein Zimmer geschleppt. Emil hatte ihn dabei aufs Ohr geküsst und laut Mama! gerufen. Dann war er stehend eingeschlafen. Herr Faustini legte ihn in seinen Kleidern aufs Bett. Augenblicklich begann Emil mit dem Zersägen des Gästehauses Eden .
8
Am nächsten Morgen saß Emil mit feuerrotem Kopf, als wäre er nun selbst zum Radfahrer geworden, am Frühstückstisch und verzehrte Wurst und Käse und Ei und Marmelade mit Heißhunger. Ihm schien nichts auf den Magen zu schlagen. Herr Faustini dagegen saß blass und geräuschempfindlich neben Emil.
Heute muss ich nach Neustadt, meinte Emil. Zuerst ins Eisenbahnmuseum. Dann ab mit dem Kuckucksbähnel ins Elmsteiner Tal. Mit Dampf, versteht sich. Der Name soll daher stammen, dass die Bahn dorthin führt, wo nur noch der Kuckuck schreit. Auf dreizehn Kilometern in den Pfälzer Wald. Vorbei an der Tuchmacherstadt Lambrecht und der Spangenburg und einer Burgruine nach der anderen. Das steht heute auf dem Programm. Deswegen hat’s mich hierher verschlagen. Wegen dem Kuckucksbähnel.
Ist dir übrigens schon aufgefallen, dass die Pfälzer entweder die ersten sechs Zähne in einer Linie nebeneinander stehen haben, das sind die Breitgesichter. Oder sie haben nur die beiden Vorderzähne in einer Linie, danach geht es radikal nach innen. Das sind die Schmalgesichter.
Herr Faustini probierte mit der Zunge an seinen Vorderzähnen herum, um herauszubekommen, ob er ein Breitgesicht oder ein Schmalgesicht war.
Und dann finde ich, dafür, dass die meisten hier klein und stämmig sind, fahren sie sehr große Autos, sagte Emil. Kleine Männer in großen Autos, das hat leicht etwas Lächerliches. Findest du nicht auch? Während große Männer in kleinen Autos allzu bescheiden wirken. Wenn sie zu groß sind im Vergleich zu ihrem Auto, dann ist es auch eher lächerlich. Während kleine Frauen in großen Autos ziemlich sexy wirken, meinst du nicht? Emil ließ das Wort sexy auf seiner Zunge zergehen. Herr Faustini hörte ein solches Wort aus Emils Munde zum ersten Mal. Sollte er ganz unbekannte Seiten haben, die er nun mit einem Mal bloßlegte? Geländewagen, meinte Emil noch, wirken bei den allermeisten Menschen vulgär, findest du nicht auch? Manchen Frauen stehen Geländewagen allerdings wirklich gut. Dabei zeigte Emil einen Blick, den seine Mutter möglicherweise nie bei ihm gesehen hatte.
Herr Faustini begleitete Emil bis vors Eisenbahnmuseum in Neustadt. Das Kuckucksbähnel fuhr erst in einer Stunde, bis dahin würde Emil das Museum besichtigen. Er konnte nicht verstehen, dass Herr Faustini seine Leidenschaft
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