Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman
und Highlights des Jahres versprochen. Nach der Haartracht der Damen in den wie aus der Zeit gefallenen kleinen Geschäften an der Straße zu urteilen, hielt sich die Edenkobener Damenwelt in den wilden Föhn- und Dauerwellenfrisurzeiten der Achtzigerjahre auf. Damals schienen auch die letzten Arbeiten an den Schaufenstern getan worden zu sein. Gegenüber etwa in Uschi’s Lädchen hatte Herr Faustini in der Auslage neben bemerkenswert großen Puppen ein vergilbtes Set Früchteteebeutel gesichtet, daneben braune Haarspangen vom Typ „Pretty Woman“, Damenhöschen in allen Farben für zwei Euro fünfzig, eine aus den Siebzigerjahren übriggebliebene rote Knautschlackhose, sonnengebleichter Osterschmuck (Handarbeit) für zwei Euro, eine Heino-Puppe mit Sonnenbrille, ein Leoparden-Bikini für drei Euro fünfzig. Ein handgemaltes Schild versicherte verzweifelt: NUR NEUWARE!!! KEIN SECOUNDHAND!!!, wobei Herrn Faustini das überzählige U leidtat. Ob es statthaft wäre, Frau Uschi in ihrem Lädchen einen Besuch abzustatten und auf das überzählige einsame U hinzuweisen?
Emil hatte seinen Lottoschein ausgefüllt. Er kramte in seiner Hosentasche herum und rief nach Herrn Faustini.
Hast du vielleicht zwei Euro? Eben waren sie noch da. Jetzt sind sie nicht mehr da, meinte Emil und sah zu Boden, als suche er nach Münzen, die es nicht gab. Der Mann mit der glänzenden Glatze warf einen Seitenblick auf seine Mutter, wobei seine Zunge blitzschnell auf seinen Lippen Beute schlug. Die Mutter wiederum sah Herrn Faustini mit dem Ausdruck eines Erstaunens an, das zu fragen schien, ob er und Emil Eindringlinge waren. Herrn Faustini kam das Schreibwarengeschäft nun vor wie das Wohnzimmer von Mutter und Sohn, es roch so privat, dass in jedem Augenblick eine Kuckucksuhr anschlagen konnte. Herr Faustini gab Emil das Geld und der bezahlte damit, als gehöre die Welt ihm. Jetzt kann nichts mehr schiefgehen, meinte Emil. Ich habe so ein Gefühl.
Was ist das für ein Gefühl?, fragte Herr Faustini, während sie das Schreibwarengeschäft verließen, Stecknadelblicke im Rücken. Im Spiegel sah Herr Faustini, wie die Zungen von Mutter und Sohn gleichzeitig aus dem Mund schossen.
Ganz klar, meinte Emil jetzt, ich sehe meine Zahlen leuchten in einem hellen Kranz, fast so hell wie der um die Dornenkrone vom Jesus. Und ein Kranz, der so hell leuchtet, schickt eine Menge Strom zu den Zahlen, die wie von selbst die richtigen sein werden. Ich mach mir da keine Sorgen.
Auf der Straße hatte sich die Anzahl der feuerroten Radfahrerköpfe verdoppelt. Die Weinstände waren von leuchtenden Trikots belagert. Es wurde viel gelacht. Ganz für sich lehnten ein paar halbwüchsige Mädchen, bauchfrei und tätowiert, an einer Hauswand. Sie zeigten sich einfach nur, während ihre Blicke die Straße auf und ab wanderten in Erwartung der Jungs, die spät dran waren, aber doch bestimmt eintreffen würden.
Im Festzelt auf dem Marktplatz spielte eine Volksmusikgruppe und Paare tanzten in einer Tracht, die möglicherweise eine Phantasietracht war, weil niemand mehr die echte Tracht von damals kannte. Also war möglicherweise die Phantasietracht nun die echte Tracht. Während Herr Faustini den tanzenden Trachtenpaaren zusah, war ihm, als öffnete sich in ihm ein Fenster, durch das er gemeinsam mit den Tanzenden die Geschichte aller Tänzer dieser Gegend wie aufgefädelt an einer Kette betrachtete. Unter einem seltsam irisierenden Himmel führten da Männer aus anderer Zeit ihre Damen im Kreis, verbeugten sich galant vor ihnen, andere wiederum hüpften eingehakt bei Erntedank um eine mächtige Linde, wobei ihre Freudenrufe weit ins Land hinaus trugen. Männer und Frauen in stetig wechselnden Körpern glitten durch die Tiefe der Jahre. Wie aus dem Augenwinkel sah Herr Faustini die in alter Zeit noch überall gegenwärtige schwere Arbeit auf den Feldern, in den Manufakturen, hörte den Lärm aus der Schmiede, roch den Gestank vom Gerben des Leders, vom Sengen einer Sau, sah barfüßige Kinder schwere Eimer die schlammige Straße heraufschleppen, sah sie die übergroße Sense durchs Gras ziehen, das Fuhrwerk zu fünfen ziehen, da sie keinen Ochs hatten, sah sie ihren Ranzen schnüren und aufbrechen zum Verdingen bei einem Großbauern, wo sie ihre Lebenskraft hingaben für ein Stück Brot und ein Bett.
Herrn Faustini schwindelte von der Durchlässigkeit der Zeit. Er versuchte an seinen Kater zu denken, der nun schon seit längerem nicht mehr auf seinem Schoß gelegen
Weitere Kostenlose Bücher