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Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman

Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman

Titel: Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haymon
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und den er lange nicht mehr gekrault hatte, während sein Schnurren immer lauter wurde, bis Herr Faustini im Ohrensessel eingeschlafen war. Er war erst wieder aufgewacht, wenn der Kater seinen Schoß verließ, um die Nacht im Freien zu verbringen. Schließlich musste er in seinem Revier nach dem Rechten sehen. Frau Gigele, die Nachbarin, kümmerte sich ganz bestimmt wunderbar um den Kater, er brauchte sich keine Sorgen zu machen. Sie würde auch wie abgesprochen die beiden delikaten Blumenstöcke in Herrn Faustinis Haus gießen.
    Die tanzenden Paare waren nun einfache tanzende Paare, die Bläser der Blasmusik trompeteten violett vor sich hin.

7
    Herr Faustini wollte nicht vergessen, dass er aufgebrochen war, um das Strömen der Welt zu fühlen. Zu fühlen, wie der Schatten von einem Bananenbaum am Ende der Welt sich hier in Edenkoben über sein Gesicht legte, wie das Bittere, das Süße in eins kamen und durch ihn hindurchflossen für einen langen Augenblick aus Licht. So war es. Um keinen Deut weniger. Und dafür war er an einen Ort gekommen, der aus Eden und Koben zusammengesetzt war? Ja, gerade hier wollte er das Strömen der Welt spüren. Nicht droben im Himalaya, wohin jeder aus demselben Grund reiste, nämlich um das Strömen der Welt zu spüren. Um den Göttern auf dem Dach der Welt am nächsten zu sein. Um den Heiligen Berg Kailash in hunderttausend Niederwerfungen zu umwandern, und vielleicht dort sterben zu dürfen, was bedeutete, direkt aufzufahren auf den Thron zur Rechten Buddhas oder eines anderen der tausend Götter.
    Kamen die grauhaarigen Senioren in den dicken klimatisierten Mercedes-Limousinen nach Edenkoben, um den Puls der Welt zu fühlen? Und das, indem sie sich die Köpfe rotsoffen von einer Weinschenke zur nächsten an der Deutschen Weinstraße?
    Karawanen von schweren Motorrädern im Besitz von Oberstudienräten, die mit bewegungsloser Miene im schwarzen Fransenlederwams ins Edenkobener Tal hineindonnerten, um im Garten einer Weinschenke den Atem des Bacchus zu inhalieren? Fuhren sie nach Edenkoben, um das Strömen der Welt durch sich hindurchgehen zu spüren? Nach der zweiten Flasche Pfälzer Wein befiel sie ein Hauch von solcher Leichtigkeit und innerer Helligkeit, dass sie schworen, noch nie von solchem Wein gekostet zu haben, und nie unter einem so lauen Himmel.
    Herr Faustini wollte es hier spüren, gerade hier oder an einem anderen Ort, von dem keiner glaubte, dass es der Ort der frei strömenden Welt, der Ort des Zusammenkommens der Dinge, der Mittelpunkt sei.
    Emil ließ den Pfälzer Wein reichlich durch seine Kehle strömen. Er blühte zur Höchstform auf, feuerte einen großen Tisch von radfahrenden Weinstraßenpilgertrinkern zu einer Lachsalve nach der anderen an, dass Herr Faustini sich Sorgen um die Gesundheit der hochroten Radfahrerköpfe machte. In einen Augenblick der Stille hinein sagte Emil: Bei der letzten Wahl hat mir meine tote Mutter in der Wahlkabine über die Schulter geschaut.
    Jetzt war es ganz still am Tisch. Irgendwo knirschte ein Fahrradhelm.
    Er sei ans Bett gefesselt gewesen, sagte Emil in die Stille hinein, mit einem Gips über einem komplizierten Beinbruch. Erst acht Wochen vorher hätten sie seine Mutter vergraben. Ja, er sagte vergraben. Sie wäre die stärkste Frau in der ganzen Talschaft gewesen. So zäh sie im Leben gewesen war, so zäh sei sie auch gestorben. Sie sei die Klügste gewesen in ihrer Familie. So habe sie auch eine höhere Schule besuchen dürfen, was bei uns im Tal, so sagte Emil, für ein Mädchen ungeheuerlich war. Sie habe sich ganz besonders ausgedrückt, seine Mutter. Sie habe Wörter verwendet, wie man sie bei uns im Tal, wie Emil sagte, nie gehört hat. Weil sie als junges Ding eine Zeitlang in der Stadt gewesen war. Dort habe sie mit Künstlern und Philosophen verkehrt. Auf Besuch zu Hause im Dorf habe ihr Emils späterer Vater einen Antrag gemacht. Sie habe ihn davongeschickt, dass er mit seinem Fuhrwerk wie der Henker in die Nacht gefahren sei. Er sei nicht gut genug für sie gewesen, und um etliches älter war er auch. Sie kehrte wieder in die Stadt zurück. Zu Hause hätten sie schon nicht mehr geglaubt, dass sie wiederkomme. Sie war eine Städterin geworden. Emils Vater habe nicht aufgegeben, habe immer wieder nach ihr gefragt. Er sei ein herzensguter Mensch gewesen. Seine Rosse hätten es bei ihm gut gehabt. Mit ihnen habe er mehr geredet als mit jedem sonst. Da sei Emils Mutter eines Tages ganz blass vor der Tür gestanden.

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