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Die Auserwählte: Roman (German Edition)

Die Auserwählte: Roman (German Edition)

Titel: Die Auserwählte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Bosworth
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hielt. Ich fragte mich, ob sie womöglich kein Zelt besaß, ob der Schirm ihr einziges Dach über dem Kopf war.
    »Hat das Internet heute Morgen funktioniert?«, fragte Parker und warf einen Blick auf die Frau mit dem Schirm. »Hast du nachgesehen, wie das Wetter wird?«
    »Tue ich das nicht immer?« Es war ein Ritual von mir, jeden Morgen mindestens drei Wetterseiten zu konsultieren, wenngleich das eigentlich gar nicht nötig war. Wenn ein Unwetter im Anmarsch war, spürte ich es. Meine Haut fing zu kribbeln an, meine Knochen taten mir weh, und das Feuer, das in meinem Herzen und in meinem Blut loderte, seit ich das erste Mal vom Blitz getroffen worden war, brannte heißer als sonst.
    Nicht so an dem Tag des Puente-Hills-Erdbebens. An jenem Tag war das Unwetter aus heiterem Himmel aufgetaucht. Dieses Phänomen kannte ich aus der Zeit, als wir noch in Lake Havasu City gewohnt hatten, allerdings hatte ich es dort nur während der drückend heißen Monsunzeit erlebt, und diese Unwetter waren gewöhnlich ebenso schnell wieder vorbei gewesen, wie sie begonnen hatten. In Los Angeles dagegen passierten Unwetter nicht einfach so; man sah sie immer kommen.
    »Und, wie ist die Vorhersage?«, fragte Parker.
    »Wolkenlos, die ganze Woche.«
    Er nickte. »Gut. Das Letzte, was wir jetzt brauchen können, ist …« Er verstummte und warf mir einen Blick zu. »Du weißt schon«, murmelte er dann.
    Ich wusste es. Das Letzte, was wir brauchen konnten, war ein weiteres Gewitter, und nicht nur, weil es hieß, das Puente-Hills-Beben sei womöglich von einem Blitz ausgelöst worden – denn an jenem Tag hatte ich aus fünfzehn Meilen Entfernung gespürt, wie Blitze den Himmel spalteten, und mir nichts sehnlicher gewünscht, als mich ihnen in den Weg zu stellen. Ich hatte meine gesamte Selbstbeherrschung aufbringen müssen, um nicht ins Auto zu steigen und ins Stadtzentrum zu dem Gewitter zu rasen, damit ich einen Teil davon abbekam. Selbst als das Beben eingesetzt hatte, als es den Anschein gehabt hatte, als würde der ganze Erdball zerbröckeln, wenn es nicht wieder aufhörte, hatte ich an nichts anderes denken können als daran, die Blitze auf mich zu lenken. Als daran, wie lebendig ich mich fühlen würde. Als an den perfekten Schmerz, der alles Mögliche mit mir machen konnte. Der mich sogar töten konnte.
    Ja, das Letzte, was wir in diesem Moment brauchen konnten, war ein weiteres Unwetter.
    Vor uns neigten sich die Überreste des Santa-Monica-Piers wie eine Rampe in den Ozean. Die längsten der Holzpfeiler, die den Pier stützten, hatten sich während des Bebens gebogen und waren gebrochen, woraufhin Hunderte Touristen und etwa ein Dutzend kitschige Restaurants in den Pazifik gestürzt waren. Ein Teil des berühmten Santa-Monica-Riesenrads ragte noch aus dem Wasser wie das Rückgrat eines phantastischen Meeresungeheuers, das aus der Tiefe auftaucht.
    Am Strand, zu beiden Seiten des versunkenen Piers, standen Tausende Zelte und provisorische Überdachungen. Unzählige Menschen liefen auf dem Sand umher. Ziellos. Darauf wartend, ihr Leben zurückzubekommen. Und inmitten des Durcheinanders ragte Prophets großes Weißes Zelt, in dem er seine mitternächtlichen Erweckungsversammlungen abhielt, wie eine Fata Morgana empor. Es leuchtete hell in der Morgensonne, und seine weißen Stoffwände flatterten in der leichten Brise. In makellosem Weiß gekleidete Jünger wanderten durch die Scharen von Strandbewohnern und boten ihnen Wasserflaschen und Hafermehlkekse im Tausch gegen einen Moment ihrer Zeit an. Selbst von der Straße aus waren die Jünger leicht von allen anderen zu unterscheiden, da sie herausstachen wie weiße Brieftauben unter schmutzigen Parktauben.
    Sogar aus der Ferne erkannte ich, wie bereitwillig die Menschen den Jüngern ins Weiße Zelt folgten.
    Gedämpft hörte ich das Geräusch von zersplitterndem Glas und das Kreischen einer Alarmanlage.
    »Mia, pass auf!« Parker griff ins Lenkrad und riss es nach rechts. Gerade noch rechtzeitig. Wir hätten beinahe einen Mann überfahren, der über die Straße rannte. In seinen Armen türmten sich gestohlene Elektronikgeräte so hoch, dass ihm die Sicht versperrt war. Er schaffte es, die Ocean Avenue unversehrt zu überqueren, und verschwand in eine Gasse, die zur Zeltstadt führte.
    Ich hielt mit quietschenden Reifen am Randstein an und wartete darauf, dass das Inferno in meiner Brust abkühlte. Das Herz schlug mir bis zum Hals, und der Adrenalinrausch ließ mich am ganzen Körper

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