Die Ausgelieferten
wurde nicht entsprochen. Darauf zog er Höjer in eine Ecke und vertraute ihm flüsternd an, dass er einen schwedischen Polizisten verdächtige, gewisse Dinge an die schwedische Presse weitergegeben zu haben. Dann ging er an sein Bett und holte aus dem Nachttisch einen Stoß Papiere, die er Höjer mit Tränen in den Augen überreichte: unter diesen Papieren befand sich eine Erklärung an die Balten, dass er sein Amt niederlege, ferner drei Briefe an die Medizinalbehörde.
Persönliche Eindrücke von E. Er schien der eigentliche Urheber des Hungerstreiks unter den Balten und Deutschen gewesen zu sein. Er erwartete, von den Russen umgebracht zu werden, und kämpfte deshalb verbissen um sein Leben. Nach Auffassung Höjers scheint er sich als Religionsstifter empfunden zu haben, allerdings ohne große Illusionen über den Erfolg seines Unternehmens. Er erinnerte schwach, aber doch auffallend an Sven Lidman.
Versuch einer psychiatrischen Diagnose. »Unerhörte Willenskraft. Recht schmalspurig, beherrscht aber seine Umgebung durch seine starke Ausstrahlung. Ich vermute, dass eine psychiatrische Diagnose wie folgt lauten würde: Hysteriker mit paranoiden Reaktionen.«
Spät am Abend des 17. Dezember wurde Dr. Elmars Eichfuss-Atvars von Ulricehamn nach Kristianstad gebracht. Zwei zivilgekleidete Polizeibeamte betraten sein Zimmer und teilten ihm mit, es sei soweit. Er leistete keinen Widerstand. In Kristianstad wurde er in einem Einzelzimmer isoliert und von einem bewaffneten Polizisten bewacht. Er ging sofort zu Bett. Seine noch verbleibende Zeit in Schweden sollte er in Kristianstad verbringen. Mit anderen kam er nicht mehr in Kontakt; er wurde genauestens überwacht.
Um seinen Aufenthaltsort geheimzuhalten, erhielt er in Zukunft den Decknamen »Persson«.
2
I m Frühjahr 1945 wurde in Kristianstad unter Leitung von Dr. Hans Silwer ein Bereitschaftskrankenhaus eingerichtet. Im Lauf des Frühjahrs und des Sommers wurden dort viele ehemalige Häftlinge deutscher Konzentrationslager eingeliefert, die man hatte retten und nach Schweden bringen können. Es waren vor allem Juden, Kommunisten und Norweger. Sie waren ausgemergelt und halbtot, und es dauerte lange, sie wieder ins Leben zurückzuholen. Das Personal des Krankenhauses erhielt bei ihrem Anblick einen schweren Schock; viele erinnern sich noch heute an sie: eine Sammlung menschlicher Wracks, die langsam, sehr langsam ins Leben zurückkehrten.
Am 30. November wurde eine Gruppe hungerstreikender baltischer Soldaten in diese Klinik eingeliefert, vier Esten und sieben Letten. Auf Anweisung aus Stockholm brachte man sie in einer anderen Abteilung unter als die noch anwesenden ehemaligen KZ-Häftlinge. Es sollte in der Öffentlichkeit nicht bekannt werden, dass ehemalige Soldaten der deutschen Wehrmacht (und seien es auch Balten) zusammen mit Opfern der Deutschen untergebracht worden waren. Die Patienten aus den Konzentrationslagern hatte man in der Technischen Schule untergebracht, die Balten im Medizinischen Pavillon des Zentrallazaretts von Kristianstad, Abteilung 2.
Anfang November hatte sich in der Klinik ein tragischer Zwischenfall ereignet, der noch immer lebhaft diskutiert wurde. Ein Norweger, der in einem deutschen KZ gesessen, während dieser Zeit aber mit den Deutschen zusammengearbeitet hatte, beging Selbstmord. Von den anderen Norwegern in der Klinik wurde er gehasst, aber das schwedische Krankenhauspersonal mochte ihn gern, und sein Selbstmord berührte alle unangenehm.
Die schwedische Regierung hatte nämlich – gegen seinen Willen – beschlossen, ihn an Norwegen auszuliefern.
Manchmal wurden Parallelen erörtert. In Ränneslätt hatte ein Mann namens Oscars Lapa Selbstmord begangen, nachdem er erfahren hatte, dass er an die Sowjetunion ausgeliefert werden sollte. Er hatte mit den Deutschen zusammengearbeitet, und die Schweden hatten beschlossen, ihn gegen seinen Willen auszuliefern. In Kristianstad hatte ein Norweger, der ebenfalls mit den Deutschen kollaboriert hatte, Selbstmord begangen, weil die Schweden beschlossen hatten, ihn gegen seinen Willen auszuliefern.
Es gibt selbstverständlich Unterschiede. Die politische Situation in Norwegen kann mit der in Lettland nicht verglichen werden. Der Norweger hatte keine schwedische Volksmeinung hinter sich. Außerdem gibt es für den schwedischen Beobachter auch wichtige ideologische Unterschiede. Lapa sollte an Kommunisten ausgeliefert werden, der Norweger an Norwegen, an ein Brudervolk , das dem
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