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Die Ausgelieferten

Die Ausgelieferten

Titel: Die Ausgelieferten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Olov Enquist
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schwedischen Volk in mancherlei Hinsicht sehr ähnlich ist.

3
    A m 2. Dezember sprach Per Albin Hansson in Borlänge: er wiederholte in großen Zügen seine Äußerungen in der Reichstagsdebatte vom 23. November. Am 4. Dezember trat das Kabinett erneut zusammen. Hier wurde zum erstenmal sichtbar, was Ernst Wigforss später in einem Interview »einen gefühlsmäßigen Sprung in der Regierung« nennen sollte.
    Östen Undén warf die Frage auf. Er analysierte das bisherige Geschehen, beschrieb die heftigen Meinungsstürme, analysierte die verschiedenen Möglichkeiten des künftigen Handelns. Er schloss mit der Empfehlung, man solle den bislang vertretenen Standpunkt aufgeben. Eine Möglichkeit wäre, den Russen zu sagen, dass aufgrund der öffentlichen Meinung in Schweden eine neue Lage eingetreten sei. »Es sei nicht wünschenswert, neue Meinungsstürme zu entfesseln, die sich notwendigerweise gegen die Sowjetunion richten würden. Die Frage solle deshalb einstweilen ruhen.«
    Ernst Wigforss bat sofort ums Wort.
    Sein Diskussionsbeitrag war nicht lang, aber sein Wort wog schwer, weil er neben Per Albin Hansson die größte Autorität besaß.
    – Ich bin der Meinung, dass wir die Sowjetunion nicht in dieser Form brüskieren können. Wir können die Sowjetunion nicht als einen barbarischen Staat hinstellen, Wir haben Deutsche an die Westmächte ausgeliefert; es hieße den Russen eine Sonderstellung zuweisen, wollten wir uns weigern, in ihrem Fall ebenso zu verfahren. Das können wir einfach nicht tun.
    Danach sprach Sköld. Auch er fasste sich sehr kurz und stimmte mit Wigforss überein.
    – Wir können keinen solchen Unterschied machen. Wir müssen an unserem Beschluss festhalten.
    Per Albin blieb während der gesamten Diskussion stumm. Es kristallisierten sich bald zwei Blöcke in der Regierung heraus. Auf der einen Seite standen als Verteidiger des Auslieferungsbeschlusses Wigforss, Sköld und Möller, auf der anderen Danielsson, Quensel und Zetterberg, die alle entschiedene Gegner der Auslieferung waren. Die drei Letztgenannten waren Fachpolitiker, die man eher als unpolitische Experten denn als Politiker mit einer festen Verankerung in der Partei bezeichnen konnte.
    Zwischen den beiden Lagern, in einer eigentümlich zwiespältigen Haltung, standen Undén und Per Albin Hansson. Undén hatte die Besprechung mit dem Verlangen eingeleitet, man solle den Beschluss umstoßen, nicht weil er fehlerhaft war, sondern allein aus Rücksicht auf die öffentliche Meinung. Danach verhielt er sich still und nahm nicht mehr aktiv an der Diskussion teil. Per Albin schwieg während der ganzen Besprechung: die Anwesenden hatten das Gefühl, als wollte er die Türen nach beiden Seiten offenhalten, als wollte er Undén stützen, falls dieser die Mehrheit für sich gewänne.
    Aber das geschah nicht. Wigforss, Sköld und Möller gehörten alle zum »inneren Zirkel« der Regierung. Danielsson, Quensel und Zetterberg »gehörten nicht zu den führenden Kabinettsmitgliedern. Wären sie auf Kollisionskurs gegangen, hätten sie vermutlich aus der Regierung ausscheiden müssen. Sie haben das aber nicht getan« (Wigforss). Und Undén? Gehörte er etwa nicht zu den tonangebenden Männern in der Regierung? »Doch, aber er verfolgte seinen neuen Kurs nicht sehr intensiv, er wollte ihn nicht mit aller Gewalt durchsetzen.«
    Nach der Diskussion ergriff Per Albin zum erstenmal das Wort. Er fasste das Ergebnis der Diskussion so zusammen, dass eine Mehrheit sich für ein Festhalten an dem Auslieferungsbeschluss ausgesprochen habe und dass eine Änderung des einmal eingenommenen Standpunkts folglich unmöglich sei. Der Beschluss werde aufrechterhalten.
    Drei Minister ließen ihren Widerspruch im Protokoll festhalten: Zetterberg, Quensel und Danielsson.
    Ein Kabinett besteht aus vielen Mitgliedern. Aber jeder Regierungsbeschluss wird in Wahrheit nur von wenigen bestimmt: von den Ministern mit der größten Autorität oder dem größten Fachwissen.
    Bei der letzten der Staatsratssitzungen, in denen die Baltenfrage erörtert wurde, hatten drei Männer die Schlüsselpositionen inne, Östen Undén, Ernst Wigforss und Per Albin Hansson. Ihre Wertvorstellungen, Analysen und Stellungnahmen bestimmten den Ausgang der Diskussion vom 4. Dezember 1945, der Diskussion also, die dem Streit um die Auslieferung endgültig ein Ende setzte.
    Östen Undén.
    Er war Jurist, Experte für Völkerrechtsfragen, sein Renommee innerhalb und außerhalb des Landes war enorm. Er

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