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Die Ausgelieferten

Die Ausgelieferten

Titel: Die Ausgelieferten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Olov Enquist
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hatte am 11. Juni dem Auswärtigen Ausschuss angehört, er hatte im Reichstag den Auslieferungsbeschluss mit trockener Heftigkeit verteidigt. Jetzt hatte er plötzlich seine Meinung geändert. Oder etwa nicht?
    – In Ihren Memoiren sagen Sie an einer Stelle, dass »die humanitären Gründe gegen eine Auslieferung schwerwiegend« seien. Sie waren aber damals doch der Ansicht und sind es, wie ich glaube, noch heute, dass man die Balten nicht als Landesverräter ansehen könne, dass die Befürchtungen über ihr Schicksal übertrieben gewesen seien. Was waren Ihrer Meinung nach die »humanitären Gründe«?
    – Die Stellung der baltischen Staaten war ein Sonderfall; die Balten waren ja vor kurzem wieder russische Staatsbürger geworden. Man hätte ohne weiteres annehmen können, dass sie infolgedessen eine harte Behandlung zu erwarten hatten.
    – Wirklich?
    – Vielleicht nicht unbedingt. Dies war allerdings eine weitverbreitete schwedische Ansicht, die ich jedoch für übertrieben hielt. Die Ereignisse in den Lagern hatten aber eine aufputschende Wirkung auf die schwedische Bevölkerung.
    – In Ihren Memoiren sagen Sie ferner, dass »andererseits wichtige politische Gründe für eine Erfüllung der mit den Sowjets getroffenen Abmachungen« sprachen. Welche politischen Gründe waren das? Spielte das Handelsabkommen mit den Russen eine Rolle?
    Er lächelt beinahe freundlich.
    – Darauf zu antworten ist sehr leicht: es spielte überhaupt keine Rolle. Die Russen übten keinen Druck aus. Das ist die ganze Antwort. Die Russen waren betrübt, versuchten aber nicht, uns zu beeinflussen.
    – Warum agierte die schwedische Regierung, als wäre Druck ausgeübt worden?
    – Wir sahen es als selbstverständlich an, dass man die Russen nicht diskriminieren durfte, indem man unterstellte, ihre Kriegsgefangenen würden schlechter behandelt als die Gefangenen der Westalliierten. Wir wollten nicht den Eindruck erwecken, als wäre die Sowjetunion ein Staat, den man mit den Ländern des Westens nicht vergleichen könne. Das hätte eine entsetzliche Demütigung der Russen bedeutet. Die Deutschen und Deutschland hatten wir während des Krieges als zivilisiert behandelt, obwohl wir von den begangenen Greueln wussten. Aber ausgerechnet die Russen, deren Land halb verwüstet worden war, die am meisten unter den Deutschen hatten leiden müssen, sollten wir behandeln, als wären sie Barbaren. Ich glaube, dass gerade dies die Russen ungeheuer empörte: dass nämlich so viele Schweden annahmen, sie würden die Gefangenen barbarischer als die Westmächte behandeln. Dass ein Reichstagsabgeordneter im Reichstag aufstand und behauptete, im Falle der Auslieferung an die Russen würden die Internierten einem qualvollen Tod entgegengehen.
    – Blieb nach der Auslieferung irgendein Missklang in unseren Beziehungen zur Sowjetunion zurück?
    – Nein. Dies lag aber ausschließlich daran, dass wir so und nicht anders gehandelt hatten. Dass wir der öffentlichen Meinung nicht nachgegeben hatten. Die Russen waren sehr empfindlich; sie hätten es nicht hingenommen, wenn wir sie anders eingestuft hätten als die Westmächte.
    – Haben Sie von vornherein geglaubt, diese Affäre würde solchen Wirbel hervorrufen können?
    – Nein, ganz und gar nicht. Es hat mich sehr gewundert, dass es zu solchen Meinungsstürmen gekommen ist.
    – In der Zeit zwischen der Reichstagsdebatte vom 23. November und der Staatsratssitzung am 4. Dezember änderten Sie Ihre Meinung. Waren Sie inzwischen zu der Auffassung gekommen, dass die »humanitären Gründe« unterdessen größere Relevanz gewonnen hätten, oder haben Sie lediglich der öffentlichen Meinung nachgeben wollen?
    – Ich habe ausschließlich dem Drängen der Öffentlichkeit nachgegeben.
    Der andere, Ernst Wigforss.
    Einige der Ausgangspunkte seines Denkens und Handelns sollten Mitte Dezember 1945 in einem Artikel von Johannes Wickman ( Morgon-Tidningen ) beschrieben werden. »Im Lauf eines Mannesalters sind drei gewaltige Meinungsstürme über Schweden hinweggegangen, und alle drei haben sich in schäumender Brandung an der sowjetischen Küste gebrochen. 1913 bis 1914 – eine Kampagne für erhöhte Rüstungsausgaben. Sie wird in einer Panik-Stimmung entfesselt, als sei Schweden von einem russischen Angriff bedroht. Sie wird von Sven Hedin geleitet, dem salbungsvollen Anbeter Wilhelms II. und Adolf Hitlers. Diese Woge spült die liberale Regierung Staaff hinweg. Man jubelt über die Siege Deutschlands im Ersten

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