Die Ausgelieferten
Weltkrieg, vor allem deshalb, weil es Siege über Russland sind. 1939 bis 1940 – passive Teilnahme am Krieg Finnlands gegen Russland. Der damalige Außenminister Günther behauptet, es gelte den russischen Plänen zu wehren, die auf eine Unterwerfung Finnlands und dessen Eingliederung in den bolschewistischen Staatsverband abzielten. Dies sagt der damalige schwedische Außenminister in aller Öffentlichkeit. Öffentlich – im Reichstag – triumphiert er im Oktober 1941 darüber, dass die Niederlage Russlands nunmehr besiegelt sei, und gibt seiner Befriedigung im Namen Schwedens Ausdruck. 1945 – ja, es ist sehr wahr: dieser Meinungssturm unterscheidet sich von den früheren in mancherlei Hinsicht. Aber Russland steht noch immer im Mittelpunkt des Interesses. Die Opposition gegen die Auslieferung hätte nie ein solches Ausmaß annehmen können (sogar die Schuljugend wurde von ihren Lehrern mobilisiert), wenn es nicht die in weiten Teilen der schwedischen Bevölkerung fest verwurzelte antirussische Einstellung gegeben hätte, die sich jetzt lautstark äußerte.«
Für Ernst Wigforss und die radikalen Sozialdemokraten seiner Generation war diese Analyse gültig. Der Streit um den Umfang der Verteidigung war die erste große politische Frage gewesen, mit der er sich hatte auseinandersetzen müssen, und die Frage der Verteidigung war immer mit jener »Bedrohung aus dem Osten« verknüpft gewesen, dem ältesten und wirksamsten Argument für eine starke Verteidigungsbereitschaft. Die Russen waren der »Erbfeind«, der mit stereotyper Hartnäckigkeit immer wieder in der Debatte auftauchte, allein wegen der Russen mussten immer wieder immense Summen in die Verteidigung gesteckt werden.
Wigforss und die Radikalen seiner Generation sahen bald ein, dass hinter der »starken Verteidigung« die »Russenangst« stand, diese beiden waren miteinander verknüpft: es galt, den Feind im Osten niederzuzwingen. »Die Russen waren nicht unser Erbfeind . Die Russen und die Russenangst waren für uns nichts weiter als ein abgenutztes politisches Argument, das von der Rechten immer wieder aus der Mottenkiste geholt wurde, um die Rüstungsausgaben zu rechtfertigen.« Wigforss gehörte jener sozialdemokratischen Generation an, für die es nicht selbstverständlich war, den Kommunismus zu hassen: nach ihm sollten andere Generationen heranwachsen, die anders dachten, aber diese kamen aus den Erfahrungen der dreißiger Jahre und des Kalten Krieges. »Die Angehörigen meiner Generation waren in dieser Hinsicht nicht blockiert.«
Die Ansichten über die baltischen Staaten gehörten in denselben Problemkreis.
– Für uns waren die baltischen Staaten noch immer russisches Territorium – das waren sie jahrhundertelang, bis 1920, gewesen. Den Randstaaten, die 1920 mit Hilfe des Westens entstanden und die Russen in die Finnische Bucht abdrängten, trauten wir keinen langen Bestand zu – was sich dann als richtig erweisen sollte. Schweden war ja auch eines der ersten Länder, die die ehemaligen baltischen Staaten 1941 als russisches Territorium anerkannten. Vielleicht glaubten wir, dass das Zurückdrängen der Sowjetunion infolge der Bildung der baltischen Randstaaten eine auf lange Sicht riskante und künstliche Schöpfung sei. Eines ist natürlich klar – wer die baltischen Staaten für natürlich gewachsene Gebilde hielt, musste zu einer anderen Anschauung kommen.
– Welche Regierungsmitglieder hatten eine positive Einstellung gegenüber der Sowjetunion?
– Nun, einige. Per Albin, Sköld, Müller, Undén, ich selbst.
– Das Handelsabkommen?
– Spielte in der Frage der Auslieferung keine Rolle. Im übrigen lag den Russen mehr an diesem Abkommen als uns. Wir hatten ja schon 1941 vorläufige Abmachungen getroffen, die infolge des Krieges nicht verwirklicht wurden. Aber nach dem Krieg konnten wir sie einhalten – Versprechen müssen gehalten werden.
– Auch die Zusage vom Juni 1945?
– Die auch. Für mich war die Auslieferung eine Selbstverständlichkeit. Wir hatten deutsche Soldaten an andere Mächte ausgeliefert, und zwar ohne irgendwelche Vorbehalte. Jetzt kam plötzlich ein scharfer Wind aus der rechten Ecke des Parlaments und der politischen Landschaft; diese Leute wollten uns zwingen, die Sowjetunion als einen barbarischen Staat anzusehen, als einen Staat, der »anders als die anderen« sei. Wir sahen ja deutlich, aus welcher Richtung der Wind wehte. Das Militär, dem die technische Durchführung der Auslieferung oblag,
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