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Die Ausgelieferten

Die Ausgelieferten

Titel: Die Ausgelieferten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Olov Enquist
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August und enthielt eine einfache Aufforderung an Kalnins, er möge alles in seinen Kräften Stehende tun, um den Internierten zu helfen.
    Der zweite kam am 28. November. Eichfuss bat um die Aufnahme in die Sozialdemokratische Partei; dieser Brief wurde bei einem Treffen lettischer Sozialdemokraten in Stockholm verlesen; die Anwesenden hielten den Brief für bemerkenswert, unternahmen aber nichts.
    Im Dezember kam der dritte und letzte Brief. Auch dieses Schreiben war an Kalnins gerichtet; sein Grundton war aber ein völlig anderer, nämlich klar pro-kommunistisch. Eichfuss bediente sich hier einer politischen Rhetorik, die in privaten Briefen selten anzutreffen ist. Dieser Brief war noch erstaunlicher als der zweite, aber weil Eichfuss inzwischen zu einem Helden geworden war – auch für die zivilen Balten in Schweden –, ließ Kalnins die Sache auf sich beruhen und verbrannte den Brief.
    Einen Mythos tastet man nicht an, und dabei blieb es.

6
    P orträts dreier Legionäre: Da sie heute sämtlich in Lettland leben, werden ihre Namen durch fiktive Initialen ersetzt. Einige Details sind ebenfalls geändert worden. Überschrift: Nach dem Höhepunkt, vor dem Auszug.
    Der Legionär J.E., geboren 1922 in Liepaja. Nach der Zeit in Ränneslätt brachte man ihn zunächst ins Krankenhaus von Halmstad, später nach Gälltofta. Während seines Aufenthalts in Halmstad hatte er einige längere Gespräche mit einer damals sechsunddreißigjährigen Krankenschwester, die anonym zu bleiben wünscht. Ihr Bericht wird durch einige Aufzeichnungen untermauert, die sie gleich nach den Gesprächen machte.
    Die Gespräche drehten sich um einen verhinderten Selbstmord. Die Absicht dabei: die Grundsätze zu beleuchten, die hinter dem Entschluss stehen, ein Leben vorläufig zu verlängern.
    Der Legionär J.E. sprach Deutsch, wenn auch nicht fließend. Er war der einzige, dem erlaubt wurde (oder der sich selbst erlaubte), mit dem schwedischen Pflegepersonal zu sprechen. Seit dem 3. Dezember nahm er wieder Nahrung zu sich, war also einigermaßen bei Kräften; er konnte sich ohne Mühe auf den Beinen halten.
    Die beiden Gespräche fanden am 8. und 10. Dezember statt, eins am Tag und eins abends.
    Er begann mit der Schilderung einer Episode aus Ränneslätt, die sich in der Nacht zum 26. November, an einem Sonntag, zugetragen hatte:
    Gegen 19 Uhr hatte die Streikleitung sich in einer der Offiziersunterkünfte zusammengesetzt, Eichfuss hatte gerade gesprochen, und es war offenkundig, dass sich niemand seinem Willen widersetzen konnte oder wollte. Nach einer Stunde verließen sie den Raum. Eichfuss ging wortlos zu den Baracken der Soldaten hinüber; diese wurden über die Unterredung nicht näher informiert. Gegen 22 Uhr stießen J.E. und einer der Offiziere zufällig zusammen und setzten sich auf die Haustreppe, um sich zu unterhalten. Sie sprachen über den Selbstmord als Mittel, die Auslieferung zu verhindern, über den Selbstmord als Ausweg und als Argument. J.E. holte eine Rasierklinge hervor und sagte seinem Kameraden, er selbst sei bereit zu sterben, weil er keine große Lust habe weiterzuleben. Der Kamerad sah ihn mit einem eigenartigen Gesichtsausdruck an, drückte seine Hand, erhob sich und ging in seine Baracke.
    J.E. blieb mit seiner Rasierklinge und einer Zigarette auf der Treppe sitzen.
    Nach einer Viertelstunde stand auch er auf und ging in das obere Stockwerk der Baracke, wo ein Zimmer leerstand. Er wollte ungestört sein. Im unteren Stockwerk war es völlig still; er fragte sich, ob der Kamerad den anderen etwas erzählt hatte. Er setzte sich auf einen Stuhl, unschlüssig, was zu tun sei. Die Rasierklinge legte er auf einen anderen Stuhl.
    Dann nahm er Papier und Bleistift und begann zu schreiben. Weil er nicht genau wusste, was er tun sollte, teilte er das Blatt durch einen Mittelstrich; über die linke Spalte setzte er ein Minuszeichen und über die rechte ein Pluszeichen. Dann machte er eine systematische Bestandsaufnahme des Positiven und des Negativen in seiner Situation.
    Zum Negativen gehörte: seines Wissens lebte keiner seiner Verwandten mehr. Er musste mit einer langen Gefangenschaft rechnen, eventuell mit seiner Hinrichtung. Seine Zukunft zeichnete sich vor dem Hintergrund einer endlosen Reihe von Arbeitstagen in einem sowjetischen Lager ab. Seine Kameraden konnten ihm nicht helfen, er dagegen konnte ihnen mit seinem Tod nützen.
    Das Positive. Es bestand immerhin die theoretische Möglichkeit, dass die Schweden ihn

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