Die Ausgelieferten
kein Regen, dagegen am 27. November). Er ist dem Tod offenbar sehr nahe gewesen, kehrte aber ins Leben zurück, und danach, in Halmstad während der Tage zwischen dem 8. und 10. Dezember mussten der Tod und die Angst vor dem Tod für ihn etwas anderes geworden sein als vorher. »Er sagte, er habe keine Angst mehr vor dem Tod, in Ränneslätt sei es viel schlimmer gewesen, obwohl er jetzt überzeugt sei, an die Sowjets ausgeliefert zu werden.«
Woher stammen die Schnittwunden an den Handgelenken?
Er habe sich hartnäckig geweigert, von der Zeit vor Bornholm zu erzählen, die Wunden müssten aber aus dieser Zeit stammen. Hatte er schon früher versucht, Selbstmord zu verüben? Auf diese Frage soll er mit Nein geantwortet haben. Glaubte er an Gott? Bei der Ankunft in Schweden sei er Atheist gewesen, aber in einem Brief an die Krankenschwester (datiert: Gälltofta, den 14.1.46.) widmet er seinem Verhältnis zu Gott eine ganze Seite. »Ich habe entdeckt, dass Gott mir geholfen hat, einem ungewissen Schicksal zuversichtlich entgegenzugehen. Der Glaube ist mir zu einem Kraftquell geworden, und ich hoffe, meinen Kameraden ein Vorbild und ein Sendbote Gottes zu werden, um ihnen helfen zu können.«
Über seinen politischen Standort hat er sich nie geäußert. Eine Woche nach den Gesprächen wurde die Krankenschwester versetzt. Später erhielt sie zwei Briefe von ihm; aus einem ist bereits zitiert worden.
Das weitere Leben des J.E. kann nur in Einzelheiten dargelegt werden. Er wurde nach Gälltofta geschickt. Bei der Evakuierung dieses Lagers scheint er sich völlig ruhig verhalten zu haben. Er ging an Bord der »Beloostrov«, ohne Schwierigkeiten zu machen. Als das Schiff den Hafen von Trelleborg verließ, saß er unter Deck hinter Schloss und Riegel. Am ersten Morgen an Bord des Schiffs hatte ein Deutscher versucht, Selbstmord zu begehen. Er war an Deck gegangen und hatte versucht, über die Reling zu klettern, war aber in letzter Minute von einem russischen Matrosen zurückgehalten worden; man hatte den Deutschen sofort unter Deck gebracht. Dieser Selbstmordversuch wurde von allen lebhaft kommentiert; sie fanden sein Tun absurd und unbegreiflich.
J.E. lebt heute in Riga. Interesse für religiöse Dinge geht ihm heute völlig ab. Er bezeichnet die Zeit in Schweden als eine Episode in seinen Leben, eine Episode, an die er sich gut erinnert, die aber nur von begrenzter Bedeutung für ihn ist. An einen Zettel mit Plus- und Minuszeichen kann er sich nicht erinnern.
Janis M. erklärte am 25. November 1945 einem Angehörigen einer schwedischen Untersuchungskommission, dass er lettischer Nationalität sei, dass er am 8. Mai 7945 schwedischen Boden betreten habe und das Land nicht zu verlassen wünsche. Er habe vom 24. November 1944 an in einem »SS-Straflager in Danzig gearbeitet«. Den Namen dieses Lagers nannte er nicht; möglicherweise hat er das KZ Stutthof gemeint, das in der Nähe von Danzig lag. Er gab an, in »deutscher Arbeitslager-Uniform« aus dem Lager geflohen zu sein. Er sei mit einer Gruppe von Letten geflüchtet. Dies kann jene Gruppe von Letten gewesen sein, die Danzig auf den beiden lettischen Flussdampfern verlassen hatte. Er könne sich nur mit einem lettischen Schülerausweis legitimieren, alle anderen Ausweise hätten die Deutschen weggenommen. Dies ist die ganze Geschichte des Janis M., soweit sie sich aus zugänglichen Quellen rekonstruieren lässt. Er wurde ausgeliefert. Fragen: worin bestand seine »Arbeit« in dem SS-Lager? Was hat man unter einer »deutschen Arbeitslager-Uniform« zu verstehen? Hatte er die Geschichte erfunden oder entsprach sie den Tatsachen? Wie sah er aus? War er verheiratet? Gehörte er einem regulären SS-Verband oder einem Totenkopf-Verband an? Oder gehörte er zu den zwangsrekrutierten Wachsoldaten? Er hat überlebt und wohnt heute in einer kleineren Stadt in Lettland. Was für ein Mensch war er? Wie erlebte er die Internierung und die Auslieferung? Wie hat er uns Schweden in Erinnerung?
Der lettische Soldat S.B. wurde 1924 geboren, war in diesem Herbst 1945 also einundzwanzig Jahre alt. Er war etwa 175 Zentimeter groß, hatte ein schmales Gesicht, trug eine Brille mit schmalen Bügeln. Nach Schweden war er aus Kurland über Gotland gekommen. Er hatte lettische Freunde in Schweden, denen er schrieb und die ihm antworteten; die gesamte Korrespondenz ist erhalten.
Er stammte aus einer gutsituierten Familie, und wie die meisten Angehörigen dieser Gesellschaftsschicht Rigas
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