Die Ausgesetzten
er. »Haben nichts als Profit im Sinn … Gelangen viel zu spät im Jahr nach Roanoke … Gefährliche Winde, gefährliche See … Zu Hilfe! Die Felsen! Die Felsen! Nehmt euch vor den Felsen in Acht!« Erschöpft rang er nach Luft. »Nein! Nein! Unser Schiff!
Wir sind verloren! Wir werden alle zugrunde gehen … Es geschieht! Oh, lieber Gott! Alle außer mir sind dahin!«
Jonas riss den Mann von seinem Marker fort.
Siebzehn
»Warum hast du das gemacht?«, wollte Andrea wissen.
Es war nur ein Impuls gewesen, eine unwillkürliche Angst. Der Mann und sein Marker bewegten immer noch die Lippen, doch jetzt,
wo sie getrennt waren, war kein Laut mehr zu hören. Jonas erriet, was sie sagten, allerdings nur, weil sie sich ständig wiederholten:
Alle außer mir sind dahin, alle außer mir sind dahin, alle außer mir …
Jonas schauderte.
»Was ist?«, fragte Andrea herausfordernd. »Kannst du es nicht ertragen, noch eine traurige Geschichte zu hören?«
Jonas rieb sich das Gesicht.
»Nein, ich wollte nur … was ist, wenn es den Mann zu sehr verwirrt, mit seinem Marker vereint zu sein und mit seinem Verstand zu denken?«, fragte
er und suchte nach einer vernünftig klingenden Erklärung. »Der Marker weiß, dass er von zwei Jungen gerettet wurde, die wie
Indianer aussahen, und nicht von drei Kindern in T-Shirts , Jeans und Shorts. Und wenn er uns sieht statt der Markerjungen – weil Menschen in ihrer angestammten Zeit ja keine Marker
sehen können –, dann bringt ihn das erst recht durcheinander.«
»Aber der Mann hat überhaupt nicht mitbekommen, dass wir ihn gerettet haben«, wandte Katherine ein. »Er wird einfach glauben,
die Markerjungen hätten ihn gerettet und wären fortgegangen. Und dann sind wir gekommen. Wir haben im fünfzehnten Jahrhundert
auch Leute gesehen, die in ihren Marker geschlüpft sind, nachdem sie andere Dinge gesehen hatten. Ich glaube nicht, dass das
irgendwelche negativen Auswirkungen hatte.«
Jonas ging noch etwas anderes durch den Kopf.
»Du glaubst, wenn der Mann aufwacht, ist es für ihn kein Problem, uns in Klamotten aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert zu
sehen?«, hakte er nach. »Hier und jetzt, wo wir absolut nicht hingehören? Wo alles nur das abgekartete Spiel eines geheimnisvollen
Zeitreisenden ist, der Andrea belogen hat?«
»Nein«, gab Katherine zu und erschrak. Vermutlich dachte sie daran, wie sie den Mann am Strand geschüttelt hatte, um ihn aufzuwecken:
Sir ? Sir ?
Das war ein Fehler gewesen. Sie konnten von Glück sagen, dass der Mann nicht aufgewacht war.
Behutsam nahm Katherine die Hand von seiner Schulter.
»Moment. Heißt das, du willst dich einfach … davonschleichen?«, fragte Andrea ungläubig. »Ihn hier allein zurücklassen, obwohl er verletzt ist?«
Der Mann stieß immer noch seine lautlosen Klagen aus:
Alle außer mir sind dahin, alle außer mir sind dahin, alle außer mir sind dahin …
Mit der gleichen Behutsamkeit wie Katherine nahm Andrea die Hand des Mannes und hielt sie fest.
»Sch, sch, es ist vorbei«, flüsterte sie ihm zu. »Sie sind in Sicherheit.« Dann sah sie wieder zu Jonas und Katherine. »Habt
ihr nicht gehört, was er gesagt hat? Er ist der einzige Überlebende eines schrecklichen Schiffsunglücks. Also wird niemand
nach ihm suchen. Er ist genauso gestrandet wie wir. Wir können ihn nicht im Stich lassen.«
Jonas schüttelte den Kopf.
»Niemand hat gesagt, dass wir ihn im Stich lassen wollen«, sagte er. »Wir versuchen nur herauszufinden, wie wir uns um ihn
kümmern können, ohne die Zeit zu ruinieren.«
Aber war das überhaupt möglich? Oder war es wieder eine Falle, in der sie wohl oder übel gezwungen sein würden, die Zeit zu
gefährden?
»Hätten wir doch nur den Definator noch, um uns unsichtbar zu machen«, sagte Katherine.
Andrea seufzte.
»Tut mir wirklich leid«, sagte sie. Sie starrte sekundenlang ins Feuer, ihr Gesicht fast ebenso unergründlich wie das der
Markerjungen. »Nein, wisst ihr was? Es tut mir
nicht
leid. Wenn ich den Code nicht verändert hätte, wäre dieser Mann jetzt tot.« Sie drückte seine Hand. »Könnt ihr euch vorstellen,
wie oft ich mir im letzten Jahr gewünscht habe zurückgehen und jemanden vor dem Tod bewahren zu können?«
»Andrea«, sagte Katherine. »Das hier ändert nichts an der Sache mit deinen Eltern. Du kannst sie nicht retten.«
»Ich weiß, ich weiß, aber … es ist trotzdem ein kleinerSieg über den Tod«,
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