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Die Ausgesetzten

Die Ausgesetzten

Titel: Die Ausgesetzten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Siehst du denn nicht, wie weit das nächste Land entfernt ist?
    Das nächste Land war ein schmaler Streifen am Horizont. Alles war so flach, dass Jonas nicht mit Sicherheit sagen konnte,
     ob es wirklich Land war. Das schmale Band aus Grün und Braun mochte ebenso gut eine optische Täuschung sein.
    Wer konnte schon sagen, wie weit es bis zur Insel Croatoan war?
    »Zwei!«, schrie Andrea in die Luft. »Wenn du uns wirklich helfen willst, dann gib uns ein Kanu! Mehr brauchen wir nicht!«
    Nichts geschah. Kein Kanu schwebte vom Himmel.
    Andrea sackte neben ihrem Großvater zusammen.
    »Das passt«, murmelte sie. »Er hat die ganze Zeit mit uns gespielt. Und jetzt seht euch meinen Großvater an!«
    John Whites Haut wirkte kälter und feuchter denn je. Ein gequälter Ausdruck lag auf seinem Gesicht, als würden sich ihm überall
     kleine Zweige und andere spitze Triebe in den Rücken bohren.
    »Vielleicht ist das Zeug, das ich für Farbe gehalten habe, in Wirklichkeit Arznei?«, überlegte Jonas.
    »Würde Zwei uns nicht wissen lassen, wenn er wirklich helfen wollte?«, fragte Katherine zurück. »Damit wir Andreas Großvater
     nicht aus Versehen vergiften?«
    »Wenn Zwei uns wirklich helfen wollte, würde er uns ein bisschen mehr zukommen lassen als ›Mit besten Grüßen‹ und ›Ihr macht
     das toll‹«, murmelte Andrea. »Und   … ach ja, ›So kannst du deine Eltern retten‹. Es ist alles gelogen.«
    Jonas blickte zu ihr hinüber und sah, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen.
    »Vergiss Zwei«, sagte er zu ihr. »Wir kommen von dieser Insel runter. Wir entziehen uns seinen Plänen. Wir holen die Markerjungen
     ein und finden deinen Marker. Und wenn wir selbst ein Kanu bauen müssen aus diesem   …«
    Baumstamm, wollte er sagen. Direkt am Ufer trieb ein umgestürzter Baum im Wasser. Er war die ganze Zeit über da gewesen, schon
     als Jonas mit der Suche nach einem Kanu angefangen hatte. Doch in diesem Moment wehte der Wind ein paar tote Blätter fort
     und Jonas sah, dass der Stamm mit einem primitiven geflochtenen Seil an einem Baum festgebunden war.
    Warum sollte jemand einen Baumstamm festbinden? War der Stamm vielleicht gar kein Stamm?
    Jonas sah zu den Markerjungen hinüber, die in ihrem Markerkanu davonpaddelten. Er kniff die Augen zusammen und versuchte sich
     vorzustellen, wie die Unterseite ihres Kanus aussehen mochte, der Teil, der sich unterhalb der Wasseroberfläche befand. Er
     erinnerte sich an einen Wassersportlehrer im Pfadfinderlager, der sie im Einführungskurs pausenlos ermahnt hatte, die Geschichte
     zu respektieren. Der Lehrer war ihm damals wie ein verrückter alter Mann vorgekommen, aber hatte er ihnen nicht erzählt, dass
     die amerikanischen Ureinwohner sich Kanus angefertigt hätten, indem sie Baumstämme mithilfe von Feuer aushöhlten? Und würde
     das nicht bedeuten, dass die Kanus von außen weiter wie Baumstämme ausgesehen haben mussten?
    Jonas setzte den Fuß seitlich auf den Stamm und rollte ihn ein wenig herum. Er hatte nicht fest genug zugetreten, um ihn ganz
     herumzurollen, daher verursachte der Stamm eine große Welle, als er wieder in seine Ausgangslage zurückrollte. Jonas sprang
     zurück, um nicht völlig durchnässt zu werden.
    Doch er hatte genug gesehen. Er hatte gesehen, dass die andere Seite des Stamms ausgehöhlt war.
    »Ich hab das Kanu gefunden!«, schrie er. »Ich hab es gefunden!«
    »Dann bring es hier rüber«, erwiderte Katherine. »Bevor wir die Marker aus den Augen verlieren!«
    »Ihr müsst mir helfen!«, rief Jonas zurück. »Ich kann nicht alles allein machen!«
    Das war unfair, denn Katherine und Andrea hatten sich ebenso abgemüht wie er, John White auf dem Ast hierherzubefördern. Aber
     Jonas war nass, müde, hungrig und kaputt und er wusste, dass es an ihm war, ins Wasser zu springen und das Kanu umzudrehen.
    Sie waren alle nass, müde, kaputt und gereizt, als sie das Kanu endlich losgebunden, umgedreht, ausgeleert und mit John White
     und seiner Truhe beladen hatten. Sie brauchten zu dritt fünf Anläufe, ehe sie es schafften, das Kanu umzudrehen. Womöglich
     hätten sie es schon beim vierten Mal geschafft, hätte nicht Katherine in dem Moment, als sie das Kanu hochhoben, gesagt: »Wartet
     mal! Was sollen wir eigentlich als Paddel benutzen?«
    Jonas konnte das Kanu an der Seite nicht länger festhalten. Es knallte ihm auf die Schulter und drückte ihnunter Wasser, dass er in der Luftblase unter dem Kanu wieder auftauchte.
    Ach ja, dachte

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