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Die Ausgesetzten

Die Ausgesetzten

Titel: Die Ausgesetzten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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darauf, das Paddelblatt ins Wasser einzutauchen, durch- und wieder herauszuziehen. Eintauchen,
     durchziehen, raus; eintauchen, durchziehen, raus   …
    Unter größten Anstrengungen schoben sie sich an das Markerkanu heran, bis die Spitze des echten Kanus das Ende seines Markers
     berührte.
    »Na also!«, jubelte Katherine. »Wir sind fast da!«
    Jonas hatte das Gefühl, als würden ihm gleich die Arme abfallen. Er hielt das Paddel schon so lange umklammert, dass seine
     Hände inzwischen völlig taub waren – was gut war, weil sie jede Menge Blasen hatten. Er traute sich noch einen letzten Spurt
     zu, um zu den Markern aufzuschließen. Doch wie sollte er danach weiterpaddeln?
    Das Kanu schoss vorwärts. Andrea paddelte noch kräftiger als zuvor, was Jonas so beschämte, dass er ebenfalls beschleunigte.
    Er glitt durch den Körper des ersten Markerjungen. Zog mit John Whites Füßen gleich, mit seinem Bauch, dann mit seinem Kopf.
     Das Kanu stockte, es fiel zurück, holte auf, fiel wieder zurück, holte auf. Und dann sorgte Jonas mit einem letzten Paddelschlag
     dafür, dasssich das echte Kanu und sein Marker exakt überlagerten.
    Jonas sah zu dem zweiten Markerjungen hinüber, der direkt neben ihm paddelte.
    »He«, murmelte er. »Wird es nicht langsam Zeit für eure Kaffee-, äh, Trockenfleischpause?«
    Hungrig, durstig und erschöpft, wie er war, kam ihm das unglaublich witzig vor. Richtig sehen konnte er den Markerjungen nicht,
     nur als Echo seiner selbst: Hin und wieder löste sich ein Arm von Jonas’ Arm; oder eine extra Nase beugte sich aus seinem
     Gesicht nach vorn. Es war, als spreche er mit seinem eigenen Schatten, als gleite er durch Nebel.
    Und dann hörte der Marker urplötzlich auf wie ein Schatten oder Nebel auszusehen. Er hörte auch auf wie ein Marker auszusehen.
     Stattdessen wirkte er wie ein richtiger Junge mit Armen und Beinen, einem Oberkörper und einem Kopf, und er versuchte den
     gleichen Platz einzunehmen wie Jonas. Es war, als würde jemand von oben auf ihn drauffallen, von unten anspringen und von
     allen Seiten auf ihn einstürmen – alles auf einmal. So als hätten Zeit und Raum einen Schluckser von sich gegeben und die
     andere Person hätte aus irgendwelchen Gründen einen größeren Anspruch auf Jonas’ Platz als dieser selbst.
    Er fiel augenblicklich aus dem Kanu.

Neunundzwanzig
    Jonas schlug hart auf, das kühle Wasser auf seiner verschwitzten Haut war ein Schock. Er ging unter, fing an zu strampeln
     und kam prustend wieder nach oben. Seine Beine verkrampften sich bereits; er hatte große Mühe, auch nur den Kopf über Wasser
     zu halten.
    Deshalb haben sie im Ferienlager immer darauf bestanden, dass wir Schwimmwesten tragen, dachte Jonas. Für den Fall der Fälle.
    Jetzt allerdings brauchte er einen Reserveplan.
    Mal sehen. Wie wär’s mit etwas zum Festhalten; etwas, das schwimmt und dich über Wasser halten kann?
    Dort, wo Jonas aus dem Kanu gefallen war, gab es kilometerweit nichts als Wasser. Er war so weit vom Ufer entfernt, dass schon
     eine göttliche Intervention erforderlich wäre, um hier einen einzelnen Ast oder einen in der Nähe treibenden Baumstamm zu
     entdecken. Oder Zweis Intervention, aber darauf wollte sich Jonas lieber nicht verlassen. Allerdings hatte er ein Paddel umklammert,
     als er ins Wasser gefallen war   …
    Jonas hob die Hände vors Gesicht und betrachtete sie sorgfältig. Hielt er das Paddel vielleicht immer noch fest?
    Nein. Seine Hände waren leer.
    »Jonas!«, schrie Katherine. Ihre Stimme klang verzerrt, weil Jonas so viel Wasser in den Ohren hatte. »Schwimm zum Kanu zurück!«
    Oh. Ja, das würde es auch tun. Daran konnte er sich festhalten.
    Jonas war mit dem Rücken zum Kanu wieder aufgetaucht, dennoch war es ein wenig seltsam, dass er es fast völlig vergessen hatte.
     Vielleicht wollte sich sein Kopf einfach nicht mit der merkwürdigen Geschichte befassen, die ihm soeben zugestoßen war?
    Jonas holte tief Luft und wirbelte herum.
    Das Kanu war inzwischen einige Meter entfernt und trieb stetig von ihm fort. Doch es hatte sich wieder in zwei einzelne Kanus
     aufgeteilt – vielleicht auch nur in anderthalb? Oder eindreiviertel?
    Dies war kein Zeitpunkt, an dem es auf zahlenmäßige Genauigkeit ankam, befand Jonas.
    Die Markerversion des Kanus war im Begriff, wieder davonzugleiten, allerdings nicht in einer geraden Linie, sondern in ziemlich
     schrägem Winkel, wobei es heftig vor- und zurückruckte. Nein, es war das echte Kanu,

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