Die Ausgesetzten
das nicht vor den Eltern bereden«.
Toll, dachte Jonas. Noch ein Rätsel. Warum will Katherine, dass ich vor Andrea und Brendan nicht darüber rede? Worin unterscheidet
es sich von dem, worüber wir vor ein paar Minuten geredet haben, ohne dass sie mich getreten hat?
»Welches Stück hast du gerade auf deinem iPod gehört, als Zwei aufgetaucht ist?«, erkundigte sich Katherine schnell, als wäre
es von größter Dringlichkeit.
»Cold War Kids: ›Something Is Not Right With Me‹. Passt irgendwie, nicht?«, meinte Brendan. »Man könnte eigentlich darüber
lachen, aber …«, er wies auf die leereWasserfläche vor ihnen und den dunklen Wald hinter ihnen, »… seht euch nur an, wo wir hier gelandet sind.«
In diesem Moment begann im Wald ein Tier zu heulen. Dare erstarrte und tief aus seiner Kehle drang ein leises Knurren. Dann
wich er winselnd zurück.
»Feigling«, murmelte Jonas. Aber auch ihm liefen Schauer über den Rücken. Das Heulen wurde von einem weiteren beantwortet.
Waren das Wölfe? Kojoten? Luchse?
Im Unterholz am Waldrand raschelte es und die dunklen Riesenblätter gerieten in Bewegung.
Irgendetwas rannte auf sie zu.
Einunddreißig
Jonas sprang auf und flüchtete auf die Seite, wobei er schützend die Arme vor Katherine und Andrea hielt. Er wusste nicht,
was auf sie zukam, aber es erschien ihm klug, auf der anderen Seite des Feuers zu bleiben.
Das letzte Gebüsch aus Riesenblättern teilte sich und zum Vorschein kam …
Antonio.
Er rannte, so schnell er konnte, auf sie zu und stob nur so durch den Sand.
»Ist irgendwas hinter dir her?«, rief Jonas ihm entgegen.
Antonio gab keine Antwort. Er hielt den Kopf gesenkt und konzentrierte sich ausschließlich aufs Laufen. Seine Füße berührten
kaum den Boden. Er war noch mehrere Schritte von den anderen entfernt, als er plötzlich absprang und sich in einem erstaunlich
hohen Bogen durch die Luft katapultierte.
Das wird wehtun, wenn er landet, dachte Jonas. Von dort, wo er stand, hatte es den Anschein, als wollte Antonio in den Sand
eintauchen.
Nein, begriff er dann. In seinen Marker.
Antonio stieß mitten in der Luft mit seinem Markerzusammen. Dieser war gerade im Begriff, Fischgräten zum Feuer zu tragen, sodass er und Antonio sekundenlang aussahen wie ein
Monster mit zwei Köpfen, vier Armen und vier Beinen, die in merkwürdigen Winkeln abstanden, und mit Fischskeletten an zwei
seiner vier Hände. Dann richtete sich Antonios Körper auf, drehte sich um und verschmolz mit dem Marker.
»Ist irgendwas hinter dir her?«, schrie Jonas ihm abermals zu.
Fast unmerklich löste sich Antonio so weit von seinem Marker, dass er den Kopf schütteln konnte. Nein. Er wurde nicht verfolgt.
Trotzdem starrte Jonas noch eine Weile in den Wald und lauschte darauf, ob es im Unterholz zu rascheln begann. Doch nur der
Wind strich durch die riesigen Blätter.
»Was war das denn?«, wollte Katherine wissen.
Wieder stieg aus dem Wald ein Heulen auf.
»Bruder Wolf weiß seine Worte wohl zu setzen«, begann der Marker/Antonio. Doch dann wandte Antonio abrupt den Mund ab. »Verrückter
Marker!«, murmelte er.
Brendan lehnte sich mit dem Kopf in seinen Marker zurück und beugte sich gleich darauf wieder vor.
»Unsere Marker wissen, dass die Wölfe sich nicht in die Nähe des Feuers wagen werden«, erklärte er. »Sie haben keine Angst
vor ihnen. Aber wenn wir von ihnen getrennt sind, wissen wir nie …«
Wenn er von seinem Marker getrennt war, hatte Antonio entsetzliche Angst vor den Wölfen, wurde Jonasklar. Selbst jetzt, wo er den Kopf nur ein kleines Stück zur Seite geneigt hatte, lief ihm der Schweiß über das Gesicht, er
keuchte und sein Atem ging schwer. Besonders bizarr wurde sein Anblick dadurch, dass sein Brustkorb, der nach wie vor mit
dem Marker verbunden war, sich in ruhigen und gleichmäßigen Abständen hob und senkte.
»Mein Marker hat vor nichts Angst«, sagte Antonio. Er löste sich noch ein wenig, um sich Brendan zuzuwenden. »Und deiner?«
Brendan schüttelte den Kopf.
»Eigentlich nicht«, sagte er langsam. »Ich meine, er weiß, dass schlimme Dinge passieren können: Wir könnten verhungern oder
angegriffen werden und auf Millionen schreckliche Arten ums Leben kommen, aber wenn das passiert, dann weiß er, dass es der
Wille des –«
»Sag es nicht!«, unterbrach ihn Antonio. »Sag bloß nicht ›Großer Geist‹ oder so was Ähnliches. Das drückt es nicht richtig
aus. Es lässt
Weitere Kostenlose Bücher