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Die Ausgesetzten

Die Ausgesetzten

Titel: Die Ausgesetzten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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spanischen Kolonie, alle daran gewöhnt, Sklaven
     zu sein, aber auch daran, ernährt zu werden. Und mit einem Mal setzt man sie auf einer kahlen Insel aus, auf der es nichts
     zu essen gibt, und ohne Boote, mit denen sie zum Festland gelangen können   … Wenn unser Stamm sie nicht aufgenommen hätte, wären alle umgekommen.«
    »Dein Stamm hat Hunderte Menschen aufgenommen?«, hakte Jonas nach. Er fragte sich, warum sie nicht wenigstens
das
in der Schule durchgenommen hatten. Diese Menschen mussten Heilige gewesen sein.
    »Nein. Viele Sklaven sind gestorben, bevor sie gefundenwurden«, sagte Brendan. »Meine Eltern gehörten auch dazu.«
    Inzwischen blickte er ebenso finster drein wie Antonio. Hört mal, ich bin mit Sir Francis Drake nicht verwandt! Ich hatte
     damit nichts zu tun, hätte Jonas am liebsten gesagt.
    Nur dass das vielleicht doch der Fall war. Schließlich wusste er nicht, mit wem er verwandt war oder in welchem Zeitalter
     er ursprünglich gelebt hatte.
    »Für Francis Drake waren die Sklaven gar keine Menschen«, sagte Brendan verbittert.
    »Und nicht nur Sklaven wurden so behandelt«, sagte Antonio. »Haben Katherine oder Andrea dir meine Geschichte erzählt?«, fragte
     er Jonas.
    Der schüttelte den Kopf.
    »Ich war Kabinenjunge auf einem spanischen Schiff«, berichtete Antonio. »Kein schlechtes Leben für einen Waisenjungen. Es
     gibt schlimmere Orte, solange man den Fäusten auszuweichen weiß. Vor zwei Jahren beschloss der Kapitän, dass er vielleicht
     mehr verdienen könnte, wenn er mit den Stämmen, die ein ganzes Stück oberhalb von Saint Augustine leben, Handel treiben würde.
     Das Problem war nur, dass dort niemand Spanisch sprach. Und niemand auf dem Schiff verstand die Sprachen der Indianer. Also
     lässt man einfach ein kleines Kind zurück, kommt ein oder zwei Jahre später wieder und schon hat der Kapitän einen Übersetzer.«
     Es schien Antonio immer schwerer zu fallen, einen unbekümmerten Tonfall beizubehalten. »Falls das Kind noch am Leben ist.«
    »Du meinst, sie haben dich dort mutterseelenallein zurückgelassen?«, fragte Jonas. »An einem Ort, wo du niemanden kanntest,
     du nicht einmal die Sprache verstanden hast und du   … wie alt warst?« Er musterte Antonio mit zusammengekniffenen Augen. Der Junge und sein Marker waren fast exakt gleich groß,
     also musste auch der Marker ungefähr dreizehn sein. Außerdem hatte Antonio schon gesagt, dass er vor drei Jahren nach Amerika
     gekommen war. Das hieß, er war   … »Gerade mal zehn?«, fragte Jonas.
    »Genau. Aber he, ich hab es überlebt«, sagte Antonio, in dessen Stimme nun Stolz mitschwang. »Im nächsten Jahr kam das Schiff
     zurück und ich habe zugesehen, dass sie mich nicht finden. Ich weiß, wann ich es gut habe. Und hier hat man mich behandelt
     wie ein menschliches Wesen.«
    Er griff wieder nach dem Paddel.
    »Zurück an die Arbeit«, sagte er, auch wenn es keineswegs bedauernd klang. Er lehnte den Kopf zurück und verschmolz mit seinem
     Marker. Dann erstarrte er.
    »O nein«, stöhnte er.
    Hinten im Kanu stieß Brendan einen Schreckenslaut aus.
    »Was ist?«, fragte Jonas.
    »Also deshalb wollten unsere Marker nicht an Croatoan denken«, murmelte Antonio.
    »Ihr wisst es jetzt?«, fragte Katherine begeistert.
    Antonio sah alles andere als begeistert aus. Er – und sein Marker – saßen wie vom Blitz getroffen da und starrten in die Ferne.
    »Die bösen Geister«, wisperte er. »Die unsichtbaren Kugeln.«
    »Bazillen«, stellte Brendan richtig.
    »Redet ihr von   … Bakterien? Irgendeinem Virus?«, hakte Jonas nach und sah von einem Jungen zum anderen. Er verstand nicht, warum sie so entsetzt
     aussahen. »So schlimm hört sich das doch gar nicht an.«
    Dann streckte Antonio den Arm aus.
    Und Jonas sah die Totenschädel.

Fünfunddreißig
    Sie lagen weit verstreut am Strand einer nahe gelegenen Insel. Es sah aus, als hätte es dort so viele Tote gegeben, dass niemand
     übrig geblieben war, um die Leichen wegzuräumen.
    »Unsere Marker wussten nicht, dass wir so nah an Croatoan herangetrieben sind, während wir uns unterhalten haben«, flüsterte
     Brendan. »Sie haben alles versucht, um nicht daran zu denken. Es regelrecht aus ihren Gedanken verbannt.«
    »Weil es zu schrecklich ist«, stimmte ihm Antonio zu.
    »Hat Zwei das angerichtet?«, fragte Jonas, in dem der Zorn aufstieg. »Dieses Massaker?«
    »Nein, nein«, sagte Brendan.
    Katherine atmete tief aus, als hätte sie die Luft

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