Die Auslese: Nur die Besten überleben - Roman (German Edition)
den Raum, und eine grauhaarige Frau in einem blutroten Jumpsuit übernimmt seinen Platz auf der Bühne. »Wenn euer Name aufgerufen wird, steht ihr bitte auf und geht hinaus auf den Flur. Von dort aus werden euch die Prüfer zu dem Raum bringen, in dem euer Gespräch stattfinden wird.«
»Victor Josslim.«
Der rothaarige Vic steht auf. Er hält den Kopf gesenkt, als er aus dem Raum geht. Mir fällt auf, wie dünn und blass er geworden ist im Vergleich zu dem Jungen, den ich in der ersten Woche des vierten Prüfungsteils kennengelernt habe. Er hat sich verändert – wie wir alle. Während weitere Namen verlesen werden, umklammere ich Tomas’ Hand und frage mich, ob das der Grund ist, warum uns die Prüfer unsere Erinnerungen nehmen wollen: um die Uhr zurückzudrehen. Um uns wieder in die jungen Erwachsenen zu verwandeln, die voller Tatendrang hier ankamen und glaubten, sie könnten die Welt verändern.
Ich spüre, wie Tomas zusammenzuckt, als sein Name ertönt. Meine Lippen streifen seine Wange. Ich wünsche ihm viel Glück, dann ist er fort, und ich sitze allein da und warte darauf, dass mein Name aufgerufen wird. Und erst in diesem Augenblick fällt es mir auf. Tomas hat die Pillen behalten, und zwar beide, die er hat aufsparen können und die die einzige Chance darstellen, unsere Erinnerungen an die Prüfung zu bewahren, falls wir durch das Evaluationsgespräch kommen. Ich kann nur hoffen, dass wir uns noch einmal sehen können, ehe unsere Erinnerungen entfernt werden. Wenn nicht, dann wünsche ich mir inständig, dass Tomas die Tabletten schluckt und sich für uns beide erinnert.
Nach und nach leert sich der Raum. Ich versuche, still zu sitzen, aber ich kann nicht anders, als unruhig hin und her zu rutschen bei dem Gedanken an die Fragen, die die Prüfer stellen können, und an die Antworten, die sie wohl erwarten. Dr. Barnes hat gesagt, wir könnten keine falschen Antworten geben, aber ich weiß, dass das nicht stimmt. In dieser Phase müssen vierzehn weitere Kandidaten ausgesiebt werden. Das Prüfungskomitee wird auf jeden Fall auf etwas Bestimmtes achten. Ich wünschte nur, ich wüsste, was das ist.
»Malencia Vale.«
Meine Beine sind weich, als ich aufstehe und hinaus auf den Flur trete. Mein Herz hämmert in meiner Brust. Im Kopf wiederhole ich Dr. Barnes’ Worte: »Sei einfach du selbst«, während ich einem Offiziellen zu einer Tür am Ende des Ganges folge. Er bittet mich, einen Moment zu warten, und schlüpft in den Raum dahinter, aus dem ich Stimmengewirr höre. Ich knabbere an meinem Daumennagel und kämpfe gegen den Drang an, auf und ab zu laufen, um der nervösen Energie, die sich in mir staut, ein Ventil zu geben.
Nach einigen Minuten geht die Tür wieder auf, und eine Stimme sagt: »Bitte, komm herein.«
Sei einfach du selbst , denke ich, als ich einen Schritt über die Türschwelle mache. Doch anstatt mich zu beruhigen, lassen diese Worte mein Herz nur noch schneller schlagen. Ich weiß nämlich nicht genau, wie ich das anstellen soll. Ich bin nicht mehr das Mädchen, das die Five-Lakes-Kolonie in dem Glauben verlassen hat, dass der Tag der Abschlussfeier aus einem Kind eine Erwachsene macht. Zu dem Zeitpunkt war ich ganz ohne jeden Zweifel nicht erwachsen, und jetzt …
Nach allem, was ich gesehen und getan habe, muss ich mir eingestehen, dass ich nicht genau weiß, wer ich eigentlich bin. Aber ich weiß, dass ich das besser schnell herausfinden sollte, denn in diesem Abschlussgespräch muss ich dem Komitee mein wahres Ich zeigen.
Und die endgültige Auslese hat soeben begonnen.
Kapitel 21
Der Raum ist klein und weiß. Weiße Wände, weißer Fußboden. Keine Fenster. An einer Seite befindet sich ein langer schwarzer Tisch, an dem fünf Offizielle aufgereiht sitzen. Zwei sind hellrot gekleidet, drei purpurfarben. Einer von ihnen ist Dr. Barnes.
»Bitte, komm herein, Cia, und nimm Platz«, sagt er.
In der Mitte des Raums befindet sich ein einzelner schwarzer Stuhl mit der Sitzfläche zu den Prüfern. Daneben steht ein kleiner schwarzer Tisch, darauf ein Glas, das mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt ist.
»Bitte trink doch etwas.«
Alle Augenpaare folgen mir, während ich den Raum durchquere und mich setze. Dr. Barnes nickt, als ich nach dem Glas greife, und unterstreicht damit, dass seine freundliche Aufforderung in Wahrheit ein Befehl ist. Es gibt keine andere Wahl, als die Flüssigkeit zu trinken.
Ich schmecke Wasser und noch etwas anderes. In meinem Mund bleibt ein
Weitere Kostenlose Bücher