Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
umsetzen oder einholen, müssen wir uns aufeinander verlassen können. Wenn der Ausguck schläft oder träumt, können wir in Teufels Küche kommen. Es gibt viele Situationen an Bord, die über Leben und Tod entscheiden und in denen wir uns aufeinander verlassen können müssen.«
»Ich verstehe. Und wenn es Zwistigkeiten gibt, ist das gefährdet.« Emilia kaute auf der Unterlippe. »Das ist mir gar nicht so klar gewesen.«
»So ist das. Aber auf diesem Lauf ist es friedlicher, und ich glaube, dass es an Euch liegt. Ma’m.«
Die Worte stimmten sie froh, aber auch nachdenklich. Sie ließ Karamell noch ein wenig über das Mitteldeck laufen und ging dann zurück in die Kammer.
Endlich frischte der Wind auf. Sie machten gute Fahrt.
»Wie weit ist es noch?«, wollte Emilia von Carl wissen. Das Land war schon in Sicht, aber sie mussten gegen die Strömung kreuzen.
»Weit ist es nicht mehr. Die Frage ist nur, wie wir die Winde besiegen und anlaufen können. Da vorn ist Callao, unser Zielhafen. Mankann ihn schon fast sehen. Aber die Winde kommen vom Land.« Er seufzte.
Emilia atmete tief ein. Sie fühlte sich nicht wohl. Ihr Kreuz schmerzte, der Bauch drückte. Das Kind bewegte sich seit zwei Tagen weniger als zuvor. Der Appetit war ihr vergangen und selbst das Mus, das der Smutje aus den letzten Avocados gemacht hatte, wollte ihr nicht munden. Unruhig lief sie über das Deck.
»Gnädigste«, sprach sie der Smutje an. »Ihr wirkt so nervös. Wir kreuzen nur gegen den Wind, das heißt, alle sind in den Tauen und an den Segeln. Und Ihr tigert hier über das Deck, als wäre Euch der Teufel auf den Fersen. Paulsens Paul hat gerade nichts zu tun. Er könnte Wasser erhitzen und Euch die Wanne füllen. Wäre das nicht fein? Ein schönes, heißes Bad.«
Ja, dachte Emilia und nickte, ja, das wäre schön. »Haben wir denn genügend Süßwasser?«, fragte sie leise.
»Haben wir. Die Küste ist doch schon zu sehen. Spätestens in drei Tagen liegen wir im Hafen und können alle Vorräte auffüllen.« Er zwinkerte ihr zu. »Ich denke, Euch würde ein Bad guttun.« Er drehte sich um. »Paul! Setz mal die Kessel auf. Die Gnädigste braucht ein Bad. Und heiz ein!«
Eine Stunde später hörte Emilia wieder die Befehle zum Kreuzen. Selbst das letzte Segel war aufgezogen worden, um auch jeden Windhauch einzufangen, damit sie in die Bucht segeln konnten.
Paul Paulsen hatte eimerweise heißes Wasser in den kleinen Baderaum geschleppt. Emilia setzte sich in die Messingwanne und schloss die Augen. Das heiße Wasser tat ihr gut und sie hatte das Gefühl, sich endlich wieder einmal entspannen zu können. Seit Wochen konnte sie nicht mehr richtig schlafen, sie wusste einfach nicht, wie sie sich betten sollte. Bestimmt eine halbe Stunde lag sie so im Wasser, doch plötzlich durchzuckte sie ein stechender Schmerz. Ihr geschwollener Bauch schien sich zusammenzuziehen. Erschrocken hielt sie die Luft an. Doch dann war es auch schon vorbei. Hatte sie sich falsch bewegt? Sie wusste es nicht. Erleichtert atmete sie auf, aber dann kam derSchmerz zurück. Er fing im Rücken an, es war ein Gefühl, als hätte ihr jemand ein breites Band um den Bauch geschnürt und würde es immer fester zusammenziehen. Emilia stöhnte auf. So schnell, wie es gekommen war, war es auch wieder vorbei. Sie setzte sich auf, wollte sich hochziehen, doch da kam es schon wieder. Fast hätte sie aufgeschrien.
Das Kind kommt, dachte sie verblüfft. So fühlt sich das also an. Schnaufend lehnte sie sich zurück, wartete ab. Der Schmerz kam wie in Wellen. Jedes Mal, wenn sie sich gerade aufgesetzt hatte und aus der Wanne steigen wollte, kam die nächste Wehe.
Ich muss hier raus, dachte sie verzweifelt. Von Deck hörte sie Carl, er rief der Mannschaft Befehle zu. Dass das Schiff schlingerte und rollte, endlich Fahrt aufnahm, machte es nicht einfacher.
Das Badewasser schwappte nun aus der Wanne und dümpelte über den Boden. Beim fünften Versuch endlich schaffte Emilia es, aufzustehen und hinauszuklettern. Der Boden war rutschig, das Schiff rollte und beinahe hätte sie den Halt verloren. Sie stand an der Wanne und klammerte sich an den Rand. Wieder kam eine Wehe, doch im Stehen war sie besser zu ertragen. Aber hier konnte sie nicht bleiben. Was hatte Auguste ihr über die Geburt erzählt? Es fängt langsam an und wird dann immer stärker.
Mutter, erinnerte sich Emilia erschrocken, hatte tagelang in den Wehen gelegen. Sie holte tief Luft, griff nach dem Handtuch und schlang
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