Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
gesprochen haben, liebe Schwester, und das mit Herzenswärme. Ich hoffe, das tröstet dich ein wenig über den Verlust.
Onkel und Tante sind nicht gut auf dich zu sprechen, was ich bedauere. Sei es drum – das Gut in Othmarschen gehört wohl nun mir und du wirst dort immer herzlich willkommen sein.
Dein dich liebender Bruder
Julius Bregartner«
Emilia drückte das Papier gegen ihre Brust und weinte haltlos.
20. K APITEL
Die Überfahrt über den Atlantik gelang der »Lessing« ohne große Probleme. Der Golfstrom nahm sie mit und der Wind tat sein Übriges. Vor dem Kanal drehte der Wind und sie mussten kreuzen. Das Schiff war in den letzten Wochen von oben bis unten geschrubbt und gesäubert worden, das Deck wurde immer wieder mit Sand gescheuert, alles wurde neu gestrichen und lackiert. Man machte sich fein für die Heimkehr. Nur die Bordwände und den Kiel konnten sie nicht erreichen. Die »Lessing« musste dringend ins Dock, um abgeschrappt und geteert zu werden.
»Jeden Tag fahren wir nordwärts, und jede Nacht treibt es uns zurück.« Carl schlug mit der Faust auf den Kartentisch. »Wir machen so gut wie keine Fahrt.«
Emilia aber genoss diese Tage an Bord, denn es würden vorerst ihre Letzten sein. Sie hatte ihrem Bruder und ihrer Mutter noch an dem Abend in St. Vincent eine Antwort geschrieben und sie einem der Boote mitgegeben.
Über Land, die Küste hoch bis Neuengland und dann über den Atlantik, würden die Briefe vor ihnen in der Heimat eintreffen.
Der Tod ihres Vaters nahm sie sehr mit. Gerne hätte sie sich nochmit ihm ausgesöhnt. Von ihrer Mutter war kein persönliches Wort gekommen und so sah sie einem Treffen mit gemischten Gefühlen entgegen. Aber Carl hatte beschlossen, dass sie in Hamburg bleiben und er ohne sie und die Kinder Australien und die Gewässer erkunden würde.
»Wenn wir dort eine Zukunft haben, was ich sehr wohl glaube, dann lasse ich dich holen oder komme selbst.« Emilia konnte ihn von der Entscheidung keinen Fußbreit abbringen, so sehr sie auch flehte und bettelte.
Mit jeder Woche schien ihr Bauch jedoch zu wachsen und sie stimmte Carl zu, dass es eine Idiotie wäre, ihn in unbekannte Gefilde zu begleiten und dort vielleicht unter schrecklichen Bedingungen ein Kind zur Welt zu bringen. Dennoch konnte sie sich ein Leben an Land nur noch schwer vorstellen. Immerhin tröstete sie der Gedanke, dass sie zu Inken und auf das Gut in Othmarschen zurückkehren konnte.
Wie würde ihre Mutter sie empfangen?, dachte sie mit bangem Herzen. Über ihren Onkel und ihre Tante machte sie sich keine Illusionen, für die war sie gestorben.
»Wirst du die ›Lessing‹ in die Werft meines Onkels bringen?«, fragte Emilia Carl.
»Das weiß ich noch nicht. Aber ich denke, wenn die Bedingungen stimmen, werde ich das wohl machen.«
»Obwohl er dich so schändlich behandelt hat und dich übers Ohr hauen wollte?«
»Emilia, deine Familie nimmt dich auf. Und wahrscheinlich wirst du dort eine Weile bleiben müssen. Ein Jahr oder länger. Ich möchte kein böses Blut zwischen uns und deiner Familie. Zu deinem Wohl und zu dem der Kinder bin ich bereit, Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Wie wird es aussehen, wenn ich die ›Lessing‹ in ein anderes Dock bringe?«
Sie wusste, dass er recht hatte, es ärgerte sie aber trotzdem.
Der Wind drehte, sie kamen gut durch den Kanal und über die Nordsee. Als sie in die Elbe einfuhren und die Segel beidrehten, umden Lotsen an Bord zu nehmen, klopfte Emilias Herz bis zum Hals. Den ganzen Tag blieb sie an der Verschanzung stehen, schaute auf das Elbufer. Gegen Abend konnte man schon den Lichterschein der Stadt erkennen. Der Wind stand gut und sie kamen schnell voran. Aufgeregt nahm sie Lily auf den Arm.
»Da«, sagte sie schließlich und zeigte zum Deich, »da wohnen wir, meine Maus. Dort sind deine Großmutter und Inken. Dort bin ich aufgewachsen.«
Lily gurrte und lachte, lehnte dann schließlich ihr Köpfchen erschöpft an Emilias Schulter und schlief ein. Sie brachte das Kind zu Bett, war aber zu aufgewühlt, um zu essen, und kehrte an die Brüstung zurück. Erst spät in der Nacht, sie hatten vor dem Hafen Anker geworfen, kroch Emilia in die Koje. Dies würde wohl für einige Zeit ihre letzte Nacht auf der »Lessing« auf See sein. Bittere Tränen begleiteten sie in den Schlaf.
Am nächsten Morgen fuhren sie in den Hafen ein, geschleppt von einem kleinen Dampfboot. Emilia hatte bereits in Valparaiso und Callao die ersten Dampfschlepper gesehen,
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