Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
aber noch nicht in Hamburg. Sie drehte sich zu Carl um, doch seine ganze Aufmerksamkeit galt dem Anlegemanöver. Zoll und Hafenarzt kamen, Papiere und Besatzung wurden ordnungsgemäß überprüft und das Schiff schließlich freigegeben. Die Mannschaft jubelte.
Carls erster Gang führte ihn zum Kontor und zu dem Agenten, der die Ladung gekauft hatte.
»Möchtest du mitkommen?«, fragte er Emilia.
Was für eine Frage! Natürlich wollte sie. Allerdings hatten ihre Kleider unter der langen Fahrt gelitten. Außerdem wölbte sich ihr Bauch schon sehr. Zweifelnd stand sie in der Kammer, probierte erst dies an, dann jenes. Schließlich nahm sie das beste Kleid, das sie hatte, und schlang sich einen schönen Seidenschal um die Schultern, den sie in Chile gekauft hatte.
»Nimmst du mich so mit?«, fragte sie zweifelnd, doch Carl lachte nur und küsste sie.
»Ja.« Dann zog er sie von Bord.
Es war seltsam, die Gangway hinunterzulaufen, noch seltsamer war es, festen Boden zu betreten. Lily schaute sich mit großen Augen um, drückte sich eng an Emilias Hals.
Sie war noch nie an Land, ging es Emilia auf. Die vielen Leute und der Betrieb im Hafen, der Gestank von Teer, Öl und Ruß waren auch für Emilia unangenehm. Es war laut und hektisch. Die Kutschen ratterten über das Kopfsteinpflaster, Pferde wieherten und Hunde bellten. Karamell und Lady waren sicher unter Deck verschlossen worden, es sollte nicht noch einmal ungeplanten Nachwuchs geben.
Als sie in die Droschke stiegen, um zum Kontor zu fahren, weinte Lily laut vor Angst. Emilia sah ihren Mann unsicher an. »Soll ich mit ihr zurück aufs Schiff?«
Er schüttelte den Kopf und strich seiner Tochter über den Rücken. »Komm zu Papa, kleine Motte. Du brauchst keine Angst zu haben.«
Staunend schaute Emilia aus dem Fenster der Droschke, als sie durch die Stadt fuhren. Viel hatte sich in den eineinhalb Jahren verändert, seit sie in See gestochen waren. Die Arbeiten waren weiter fortgeschritten, die Stadt schien noch mehr zu wachsen. Immer noch sah man Lücken zwischen den Häusern und Brandruinen, aber sie wurden weniger, stellte Emilia fest.
Der Besuch im Kontor war erfolgreich. Der Handelsagent nahm die Ware ab, Carl erzielte einen ordentlichen Preis. Davon konnte er seinen Bruder auszahlen und es blieb auch noch genügend über, um Heuer und andere Dinge zu begleichen und das Schiff ins Dock bringen zu lassen. Er besprach nur kurz seine Pläne, Australien betreffend, und verabredete sich dann für den nächsten Tag erneut mit dem Agenten.
»Wie geht es jetzt weiter?«, fragte Emilia, als sie das Gebäude verlassen hatten.
»Wir kabeln jetzt deiner Familie in Othmarschen, dass du da bist, und warten auf die Antwort«, sagte er. »Du kannst dich, wenn du willst, in der Stadt umschauen, ich werde deinen Onkel aufsuchen und klären, ob er die ›Lessing‹ ins Dock nimmt.«
Emilia war froh, dass er sie nicht gebeten hatte, ihn zu begleiten, das wäre ihr unmöglich gewesen. So schickten sie also ein Telegramm nach Othmarschen und gingen gemeinsam durch die Stadt. Vor verschiedenen Geschäften blieb Emilia stehen und bewunderte die Auslagen. Zu gerne hätte sie sich neu eingekleidet, doch dazu war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Das konnte sie machen, wenn das Kind da war. Schließlich gelangten sie zur Alster. Emilia blieb vor dem Haus stehen, in dem sie so viele Jahre gewohnt hatte. Ihrem Onkel und ihrer Tante wollte sie nicht begegnen, wohl aber hätte sie gerne ihren Cousin und ihre Cousine getroffen. Carl rief ihr eine Droschke, so dass sie Lily nicht bis zum Hafen tragen musste.
»Es wird alles gut«, versprach er ihr.
Mit gemischten Gefühlen kehrte Emilia auf die »Lessing« zurück. Lily quengelte und weinte, die ganze Unruhe und all das Neue waren zu viel für sie gewesen. Emilia war froh, dass sie sich mit dem Kind in die Kajüte zurückziehen konnte. Das Schiff wurde schon vorbereitet, am nächsten Tag sollte die Ladung gelöscht werden. Es herrschte Hektik und Unruhe.
Gegen Abend erst kehrte Carl zurück und brachte das Telegramm mit, das Emilias Mutter geschickt hatte.
»Komm!«, stand darin, mehr nicht.
»Wann soll ich aufbrechen?« Emilia war unsicher. »Sofort oder lieber erst, wenn das Schiff ins Dock geht?«
»So schnell wie möglich. Der Hafen ist laut und dreckig, die Luft stinkt. Das ist nicht gut für Lily. Ich habe morgen früh noch einiges zu erledigen, aber am Nachmittag kann ich dich aufs Land bringen.«
»So schnell?« Darauf
Weitere Kostenlose Bücher