Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
zuckte mit den Schultern.
»Tot?« Emilia sah sie erschrocken an, aber Rieke grinste nur.
Carl stand im Begrüßungsgewimmel und lächelte amüsiert.
»Kapitän, darf ich Euch den Mantel abnehmen? Mögt Ihr etwas trinken?«, fragte Inken schnell und wurde rot.
»Den Mantel kann ich selbst ablegen, danke schön.« Er half auch Emilia aus dem Reisemantel. »Wir sollten die gnädige Frau begrüßen«, fügte er dann ernster hinzu.
Emilia hatte Rieke umarmt, jetzt trat sie zurück und atmete tief ein. Sie war blass geworden und sah Carl unsicher an.
»Es wird schon gutgehen«, flüsterte er und drückte ihre Hand. Dann nahm er Emily aus Inkens Armen. Er strich ihr über die Locken, zupfte das Kleid zurecht, nickte dann zufrieden.
»Kommt«, sagte Inken und ging voran. Sie klopfte an der Tür zur Stube, öffnete sie.
Anna saß in dem Ohrensessel neben dem Kamin, in dem ein kleines Feuer brannte. Trotz des Feuers und des milden Tages hatte sie auch noch ein Plaid über die Beine gelegt. Ihre Haare waren schlohweiß und ihr dünnes Gesicht von tiefen Falten durchzogen.
»Emma?« Ihre Stimme klang brüchig und die wässrigen blauen Augen schauten sie fragend an.
»Mutter.« Emilia eilte zu ihr, beugte sich hinunter und nahm ihre Hände. Die Haut war dünn wie Wachspapier und sie konnte jeden Knochen fühlen.
»Ach, Kind.« Mehr sagte sie nicht.
»Dies ist Carl Gotthold Lessing, mein Mann. Und Emily – unsere Tochter.«
Anna schaute zu den beiden, nickte nur, blickte dann wieder aus dem Fenster.
»Komm«, sagte Inken leise.
Emilia drehte sich um. »Ich möchte noch einen Moment bleiben.«
Carl nickte verständnisvoll und ging zusammen mit Inken zurück in die Küche. Emilia zog sich einen Stuhl heran, setzte sich neben ihre Mutter, nahm wieder ihre kalte Hand.
»Mutter, es tut mir leid, dass ich dir und Vater Kummer bereitet habe«, sagte sie leise.
»Wo ist Martin?«, fragte ihre Mutter verwundert. »Der Mann da, das war er nicht.«
»Nein, das war mein Mann. Und meine Tochter.«
»Ich habe auch eine Tochter«, sagte Anna ernsthaft. »Sie lebt in der Fremde.«
»Ich bin deine Tochter. Emma, erinnerst du dich nicht?«
»Emma hat so einen Hottentotten geheiratet«, flüsterte Anna. »Sie gehört nicht mehr zur Familie.«
Es war wie ein Stich ins Herz, auch wenn Emilia wusste, dass ihre Mutter verwirrt war.
»Wann kommt Martin?«, fragte die vorzeitig gealterte Frau wieder.
»Nie mehr«, murmelte Emilia. »Vater ist tot.«
»Ja, ja. Mein Vater ist schon lange tot.« Anna nickte, dann schaute sie wieder aus dem Fenster.
Emilia stand auf. Sie fühlte sich plötzlich ganz schwer und gleichzeitig leer.
»Du bekommst dein altes Zimmer. Deine Tante war schon lange nicht mehr hier und ich glaube auch nicht, dass sie noch einmal kommen wird. Ich habe dir unsere Wiege hochbringen lassen, aber ich glaube, Lily ist schon zu groß dafür. Mats schaut auf dem Dachboden nach dem Kinderbettchen. Rieke kann es saubermachen«, sagte Inken, die wie immer alle Fäden in der Hand hielt. »Aber das Kind muss jetzt ins Bett.«
Die ganze Aufregung hatte Lily geschafft und sie war auf Carls Arm eingeschlafen.
»Sie kann in meinem Bett schlafen.«
»Wird sie nicht runterfallen?«, fragte Inken besorgt.
»Solange hier keine hohe Dünung ist, nicht.« Carl grinste und brachte das Kind nach oben.
Nun waren die beiden Frauen allein in der Küche.
»Mutter …«, sagte Emilia leise.
»So geht es mit ihr, seit sie hier ist.« Inken seufzte und schnitt das Brot. »Es ist ein Trauerspiel.«
»War meine Tante hier?«, wollte Emilia wissen.
»Sie will nichts damit zu schaffen haben, hat sie gesagt.« Inken verzog das Gesicht.
»Und mein Bruder?«
»Ein stattlicher junger Mann und so erwachsen für seine sechzehn Jahre. Er ist sehr ernst, was wohl auf die Umstände zurückzuführen ist. Du wirst ihn ja bald treffen.« Sie sah Emilia an. »Und du? Wie geht es dir?«
»Gut!«
»Hast du die Entscheidung nie bereut?«
»Nie! Es war richtig, meinem Herzen zu folgen.«
»Ach, Emma. Und jetzt kommt schon das nächste Kind?« Sie schaute auf Emilias Bauch.
Emilia lachte. »Ja. Es ist kräftig und strampelt gut. Ich hoffe, die Geburt wird wieder so leicht wie bei Lily.«
»Und was dann?«
»Wir werden nach Australien gehen«, sagte Emilia entschieden. »Dort liegt unsere Zukunft.«
»So weit weg.« Wieder seufzte Inken.
»Mutter erkennt mich nicht mehr. Im Inneren ihres Herzens hat sie mich verstoßen. Was soll ich noch
Weitere Kostenlose Bücher