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Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney

Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney

Titel: Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Renk
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zu ihr?«
    »Sie schläft. Aber morgen früh, dann ganz sicher.«
    Am nächsten Morgen, nachdem Inken Emilia geholfen hatte, sich ein wenig frisch zu machen, besuchte Julius sie.
    Er bewunderte das Neugeborene. »Sie ist eine Miniatur von dir.«
    »Minnie – das gefällt mir.« Emilia nickte. »Lily und Minnie.«
    Dann sprachen sie lange über ihre Mutter. Julius erzählte viel aus der Zeit in England und Emilia berichtete ihm, wie ihre Mutter früher in Othmarschen gewesen war. So manche Träne floss bei den beiden.
    »Onkel Hinrich kümmert sich um die Beerdigung, hat er gesagt«, meinte Julius leise.
    Emilia schrak auf. »Kommt er her?«
    »Mutter wird in Ottensen, im Familiengrab, beerdigt werden. Ich denke schon, dass sie hierherkommen.«
    »Sie …« Emilia ließ sich in das Kissen zurücksinken. »Oh Gott.«
    Später, als Inken das Essen brachte, fand sie Emilia wieder in Tränen aufgelöst.
    »Ach, Täubchen, ich weiß, es ist schrecklich. Aber wenn du so viel weinst, wird deine Milch sauer und die Kleine muss hungern.«
    »Onkel und Tante kommen hierher«, jammerte Emilia. »Das werde ich nicht aushalten. Sie hassen mich.«
    »Ich habe schon Nachricht von der Mamsell. Sie kommen morgens und fahren abends wieder zurück. Da du im Wochenbett bist, wirst du das Zimmer sowieso nicht verlassen können. Sie werden dich nicht belästigen.«
    »Und wenn doch? Wenn die Tante hochkommt und mich beschimpft? Das werde ich nicht überstehen.«
    »Keine Sorge, ich werde die Tür abschließen und auch sagen, dass du deine Mutter gefunden hast und in keinem guten Zustand bist. Schon bei deiner Mutter konnte die Tante das nicht ertragen. Sie war nur einmal hier und hat sie für ein paar Stunden besucht. Als die Gnädigste sie nicht erkannt hat, ist sie wutentbrannt abgereist. Ich war mir nicht ganz sicher, ob deine Mutter sie nicht doch erkannt hat und nur so getan hat, als ob, denn als sie fuhr, stand die Gnädigste am Fenster und hat gelächelt.«
    »Du meinst, sie hat alles nur gespielt?«
    Inken schüttelte den Kopf. »Nein, sie war sehr verwirrt. Nur ganz selten hatte sie einen hellen Moment. Und diese Momente, das weißt du selbst, wurden immer weniger. Für die Gnädigste war der Tod eine Erlösung. Nun ist sie endlich wieder bei ihrem Martin.«
    Dieser Gedanke war sehr tröstlich für Emilia, daran hielt sie sich fest. Es schmerzte sie, dass sie nicht mit zur Beerdigung gehen konnte, aber sie war auch froh, ihrer Verwandtschaft nicht begegnen zu müssen.
    Am nächsten Tag wurde es noch hektischer im Haus. Nur Emilia lag ruhig in ihrem Bett, Minnie neben sich und Lily auf der anderen Seite. Rieke kam ein paarmal, um ihr zu helfen, und auch Inken sahnach ihr, aber nur kurz. Sie hatte sich Hilfe geholt, es wurde gekocht, gebacken und geputzt. Am zweiten Oktober wurde Anna Johanna Bregartner, geborene Hobarth, zu Grabe getragen.
    Viele Nachbarn und Bekannte kamen, um zu kondolieren. Emilia lag angespannt im Bett, hörte die tiefe Stimme ihres Onkels, das Keifen ihrer Tante, der alles nicht gut genug war, und das Getrappel von vielen Füßen. Dann brachen alle zum Friedhof auf.
    Emilia schlich ans Fenster und warf einen letzten Blick auf den Sarg, der auf dem Karren aufgebahrt war.
    »Lebe wohl, Mutter«, sagte sie leise.
    Inken hatte recht behalten, weder Onkel noch Tante machten Anstalten, sie zu sehen. Als Rieke Lily nachmittags nach unten holte, schenkten sie dem Kind keinerlei Beachtung.
    »Was bin ich froh, dass sie wieder weg sind«, sagte Inken abends und setzte sich zu Emilia aufs Bett. »Aber der Kuchen, den sie aus Hamburg mitgebracht haben, ist köstlich. Hier, iss, ich nehme so lange Minnie.«
    Die Tage vergingen. Emilia erholte sich schnell und schon Mitte Oktober verließ sie das Wochenbett.
    »Ich mag nicht immer in dem Zimmer liegen, da sitz ich lieber in der Küche.«
    Jeden Tag schrieb sie Carl, einmal in der Woche gab sie die Briefe auf die Post. Sehnsüchtig erwartete sie Nachricht von ihm, doch die Briefe kamen erst im November. Die Zeit vertrieb sie sich, indem sie sich neue Kleider nähte. Julius hatte eine gute Wahl getroffen, die Stoffe waren fest und schmuck. Sie würden eine Weile halten.
    Die Briefe nahm sie mit in die Stube, sie schloss die Tür hinter sich und setzte sich in den Ohrensessel, in dem ihre Mutter immer gesessen hatte. Das Feuer prasselte warm, draußen fielen die ersten Schneeflocken. Er hatte die Briefe auf St. Helena aufgegeben. Zwei Stunden saß sie da und las einen Brief

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