Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
getan, anderes gewaschen und geplättet, in Schubladen verstaut. Einiges nähten sie neu. Auch Lily brauchte neue Kleider, sie wuchs ohne Unterlass. Emilia ließ ihre eigenen Kleider, die inzwischen schon recht dünn und grau waren, aus.
»Für die nächsten Wochen muss es reichen, danach werde ich mir neue Kleider bestellen und nähen.«
Carl hatte ihr eine kleine Summe dagelassen, weil sie aber nicht wusste, wie lange sie davon zehren musste, haushaltete sie sorgfältig mit dem Geld. Für Kost und Logis musste sie nicht aufkommen, Julius hätte kein Geld von ihr angenommen. Das Erbe des Vaters war nicht unerheblich gewesen und er bot ihr auch Geld an, doch Emilia wollte es nicht annehmen.
»Das kann ich Carl nicht antun. Er bemüht sich so sehr, für uns aufzukommen.«
»Aber du musst es ihm doch nicht sagen«, meinte ihr Bruder.
»Ach, Julius, ich hätte doch das Gefühl, ihn zu hintergehen.«
Er lachte. »Nun gut, aber schenken darf ich dir doch etwas? Kein Geld, aber andere Dinge.«
Emilia überlegte, nickte dann. Als er das nächste Mal kam, brachte er ein weißes Schaukelpferd für Lily mit und gute, feste Stoffe, aus denen sie sich Kleider nähen konnte.
»Du läufst herum wie eine Vogelscheuche«, sagte er. »Wenn dich die Frauen in Hamburg sehen würden, hielten sie dich für eine Spülmagd.«
Emilia lachte auf. »Nur gut, dass sie mich nicht sehen können. Und lange brauche ich die Sachen nicht mehr zu tragen.«
1861–1862
Auf zu fremden Ufern
21. K APITEL
Ende September wurde Emilia durch Unruhe im Haus geweckt. Schritte und Stimmengemurmel, Türen wurden geöffnet und wieder geschlossen. Sie stand auf, zog den Morgenmantel über und schaute nach.
Rieke kam ihr entgegen. »Die gnädige Frau is futsch.«
»Was meinst du damit?«
»Na, in ihrer Kammer is se nich und ooch nich inne Stuuv, inne Köök hamse se ooch nich sehn. Wech isse.«
»Meine Mutter ist weg? Wie kann das sein?«
Rieke zuckte nur mit den Schultern. Emilia eilte nach unten, fand dort nur Hannes, den Knecht.
»Sin all buten un söken die gnädige Frau. Villich is die op zur Chaussee.«
Emilia glaubte das nicht, aber wer wusste schon, was im Kopf ihrer Mutter vor sich ging? Sie lief in den Hof, schaute sich um. Dann erinnerte sie sich daran, dass sie ihre Mutter hin und wieder auf der Obstbaumwiese gesehen hatte. Vielleicht war sie auch jetzt dort. Sie raffte das Nachthemd und lief über den Hof, an den Ställen und der Remise vorbei. Sie schaute in den Gemüsegarten, aber dort war niemand. Im Kräutergarten pickten und scharrten nur die Hühner zwischen den Beeten. Über den Wiesen und Feldern lag feuchter Nebel, die Schwaden schienen einen langsamen Tanz zu vollführen. Es roch leicht moderig nach Herbst.
»Mutter?«, rief Emilia und ging zwischen den Obstbäumen hindurch. Schwer hingen die Äste voller Äpfel. Die Pflaumen und Birnen hatten sie schon geerntet. Karamell war ihr gefolgt und lief neben ihr her, die Ohren und die Rute aufgestellt.
»Mutter? Mutter!«, rief sie wieder und wieder. »Bist du hier?«
Irgendetwas trieb sie immer weiter, bis zum Nutzteich. Die Hündin rannte zum Steg, bellte. Wollte sie eine Ente verjagen? Emilia kniff die Augen zusammen. Hatte sich der kleine Kahn losgerissen? Irgendetwas schwamm dort draußen im Wasser. Der Kahn war es nicht, er lag im Schilf. Sie ging auf den Steg, schaute auf das Wasser, es kräuselte sich. Dort war etwas, was sich seicht im Wasser bewegte. Ein großes Stück Stoff? Emilia fröstelte. Anna war nie schwimmen gegangen, aber sie hatte immer das Wasser geliebt. Wie gerne hatte sie früher am Zierteich vor dem Haus gesessen und die Füße im Wasser baumeln lassen.
War sie etwa hierhergekommen, hatte das Gleichgewicht verloren und war ins Wasser gefallen?
Der Wind trieb den Stoff näher. Es sah tatsächlich aus wie jemand, der im Wasser lag und »toter Mann« spielte. Mats hatte ihr das damals beigebracht.
»Leg dich ganz flach auf den Rücken und breite die Arme aus, du wirst sehen, das Wasser trägt dich«, hatte er ihr erklärt. »Wenn du keine Kraft mehr hast, zu schwimmen, dann leg dich so hin.«
»Mutter!« Der Ruf gellte über das Wasser, schien dann aber vom Nebel verschluckt zu werden.
Emilia streifte den Morgenmantel ab, zog die Schuhe aus, dann stieg sie vorsichtig in den Teich. Am Ufer war das Wasser noch flach, doch schnell wurde es tiefer. Das Wasser war eisig kalt und sie zuckte erschrocken zusammen. Jetzt konnte sie es deutlicher
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