Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
nach dem anderen. Er schilderte den Bordalltag, erzählte von der Mannschaft, zu der einige Neue hinzugekommenwaren. Er schrieb auch von den Büchern, die sie an Bord lasen, und berichtete, dass er ihr System der Ausleihbücherei für die Mannschaft erfolgreich fortführte. Gemeinsam hatten sie in Othmarschen einen kleinen Katalog erstellt und weitere Bücher hinzugefügt. Die Mannschaft liebte alles, was mit Abenteuer zu tun hatte, und, zu Emilias Erstaunen, romantische Liebesgeschichten. So hatten sie denn einige Bücher dementsprechend ausgewählt. Sie freute sich, dass das Angebot so gut angenommen wurde.
In St. Helena hatten sie Obst und Gemüse an Bord genommen.
»Kohlköpfe, so groß wie Wassermelonen«, schrieb er, »und Kartoffeln und Birnen, ›plums‹ – eine Art Pflaume, aber mit pelziger Haut, jedoch sehr süß.
Meine Liebe, ich stehe an der Reling, dort, wo wir oft zusammen gestanden haben, und schaue aufs Wasser. Das Meer ist indigoblau und so klar, dass ich fast bis zum Kiel sehen kann. Mein Herz sehnt sich nach dir, ich kann es kaum in Worte fassen. Nachts liege ich oft wach in der Koje, taste nach deiner Hand, lausche auf deinen Atem, doch du bist ja gar nicht da. Ich vermisse dich so sehr, bei allem, was ich tue. Wölsch hat ein kleines Gärtchen in einer Ingwerkiste angelegt. ›Die Gnädigste liebte die Blumen‹, sagte er verlegen. ›Und auch mir hat das gut gefallen.‹ Du siehst, du fehlst an Bord. Ich verspreche dir, so schnell es geht, werde ich dich und die Kinder holen lassen. Inzwischen wird unser zweites Kind geboren sein. Ich bete, dass du alles gut überstanden hast, dass du gesund und munter bist – und ebenso die Kinder. Was mag es geworden sein? Ein Sohn? Oder eine weitere Tochter? Es ist mir egal, Hauptsache, euch geht es gut. Dafür bete ich Tag und Nacht. Deine Briefe sind angekommen und ich hoffe auf weitere. Der Letzte war von August. Ich liebe dich, Emma, und vermisse euch sehr. Küss die Kinder von mir.
Dein
Carl Gotthold«
Sie schloss die Augen, stellte sich das Rauschen des Meeres vor, das Lachen der Möwen und den salzigen Duft. Wie erdig es roch, wenn man sich Land näherte, manchmal konnte sie es riechen, bevor derAusguck es entdeckte. Das Schnauben der Wale und das Schnattern der munteren Delphine, die gerne um das Boot sprangen.
Bald, sagte sie sich, werde ich ihm nachreisen.
Doch ihre Hoffnung war vergebens. Der Winter kam. Lily lief nun in ihren ersten Schühchen tapsig durch die Küche und die Diele. Sie liebte das Schaukelpferd, das Julius mitgebracht hatte, wollte kaum noch absteigen.
»Alles, was hin und her schwingt, hat es ihr angetan«, sagte Julius lachend.
Oft kam er sie besuchen, manchmal auch in der Woche. Abends hörten sie das Getrappel der Hufe auf dem Weg und schon sprang er in den knirschenden Kies vor dem Haus. Inken hielt sein Zimmer immer bereit und ließ regelmäßig Holz nachlegen, damit es nicht auskühlte.
Inzwischen hatten die Geschwister ein inniges und vertrautes Verhältnis zueinander gewonnen.
Weihnachten stellten sie einen Baum auf und schmückten ihn mit Äpfeln und Zuckerwerk. Lily bestaunte die Pracht. Der Schnee fiel dicht in diesem Jahr und sie mussten den Schlitten aus der Remise holen, um zum Gottesdienst nach Ottensen zu fahren.
Auch Minnie entwickelte sich prächtig. Sie war ein ruhiges Kind. Am Heiligen Abend lachte sie das erste Mal glucksend. Emilia war traurig darüber, dass Carl nicht an der Entwicklung seiner Kinder teilhaben konnte. Fleißig schrieb sie ihm, doch Worte auf Papier konnten die persönliche Anwesenheit kaum ersetzen.
Julius hatte ein besonderes Weihnachtsgeschenk für sie. In Hamburg hatte sich ein Porträtfotograf niedergelassen. Dort hatte Julius für Emilia und die Kinder einen Termin vereinbart. Obwohl Emilia von dem Verfahren gehört und auch schon Fotografien gesehen hatte, konnte sie sich kaum vorstellen, Bilder von sich selbst machen zu lassen. Im Sonntagsstaat fuhren sie in die Stadt. Es war das erste Mal, seit die »Lessing« damals angelegt hatte, dass Emilia wieder in Hamburg war.
Der Fotograf hatte einen Laden angemietet und verschiedene Hintergründe gestaltet. Eine künstliche Palme, die ordentlich nach Staub roch, gab es dort ebenso wie ein Sofa und mehrere Sessel, hinter denen Vorhänge drapiert waren.
Der Fotograf ließ Emilia auf dem Sofa Platz nehmen, Lily zur Linken und Minnie auf ihrem Arm.
»Ihr müsst ganz stillhalten«, sagte er wieder und wieder. Dann ging er
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