Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
Lily sie abends, als sie ihre Taschen packten.
»Hab ich doch gar nicht«, fauchte Minnie.
»Das merkt man.« Lily streckte ihr die Zunge heraus. »Jetzt verdirb Mama bloß nicht das Fest, nur weil dir eine Laus über die Leber gelaufen ist.«
»Lass mich in Ruhe. Ich werde schon niemandem das Fest verderben.« Es beschämte Minnie, dass Lily ihr etwas anmerkte. Auch ärgerte sie sich über sich selbst.
Ich kenne den Mann doch kaum, dachte sie, warum beschäftige ich mich dann so viel mit ihm? Sie stopfte die Blusen und die Wäsche achtlos in die Teppichtasche und ging dann in das Nachbarzimmer, um ihrer kleinen Schwester zu helfen.
Am nächsten Tag fuhr sie noch einmal nach Ryde, durfte aber schon eher gehen.
»Ich weiß, dass ihr aufbrechen wollt«, sagte Onkel Martin gutmütig. »Nimm den Mittagszug, dann kannst du deiner Mutter noch helfen. Sie hat ja reichlich zu tun mit euch allen.«
»Danke, Onkel Martin«, sagte Minnie erfreut und packte ihre Sachen. Dann drehte sie sich noch einmal zu ihm um. »Was ist eigentlich aus Rudolph te Kloot geworden?«
»Er wird nach den Feiertagen anfangen, für mich zu arbeiten. Eine große Bereicherung, denn er bringt viele Neuerungen aus Europamit. Ich bin gespannt, ob wir einiges davon hier anwenden können und ob es tatsächlich die Erträge verbessert. Wir richten gerade eine der Hütten für ihn her.«
Minnies Herz hüpfte. Er hatte die Stelle bekommen, und sie würde ihn wahrscheinlich schon bald öfter sehen. Beschwingt fuhr sie nach Hause, gab ihrer Mutter einen liebevollen Kuss und half dann, die restlichen Sachen einzupacken. Eigentlich hatten sie erst früh am nächsten Morgen aufbrechen wollen, doch da Minnie nun zu Hause war und Lily und die anderen Mädchen schon Ferien hatten, beschloss Carl, dass sie sogleich losfahren würden.
Er hatte sich drei Kutschen ausgeliehen, die sie nun beluden.
»Wo ist den Jiba?«, fragte er, als er sah, wie Emilia einen schweren Korb hinaustrug.
»Weg«, seufzte sie. »Und leider ist sie gegangen, ohne für Ersatz zu sorgen.«
»Das ist doch eine Frechheit«, brummte Carl.
»Ich denke, unsere Aufbruchstimmung hat sie angesteckt und auch bei ihr ist das Reisefieber ausgebrochen.«
»Ich möchte aber, dass du dich auch erholst. Sonst können wir ja auch gleich hierbleiben.«
»Wir werden Mama tatkräftig unterstützen, Papa«, sagte Minnie und packte mit an. »Sie wird schon ihren Urlaub bekommen, sie hat ihn verdient.«
Carl nickte zufrieden. Es dauerte eine Weile, bis alles in den Kutschen und der Karre verstaut war, noch einmal ging Emilia durch das Haus, kontrollierte, ob auch alle Feuer gelöscht worden waren, dann brachen sie auf.
Gut drei Stunden brauchten sie bis nach Emu Heights, einem kleinen Ort am Fuße der Blue Mountains. Dort machten sie einen kurzen Halt am »Arms of Australia Inn«, bevor sie weiterfuhren zu dem Häuschen, das Onkel Martin ihnen für die Feiertage zur Verfügung gestellt hatte. Es lag an einem kleinen Nebenarm des Nepean River. Das Haus hatte eine große Veranda, eine gut eingerichtete Küche, ein Wohnzimmer mit einem Kamin und mehrere kleine Schlafkammern.Sogar ein Badezimmer mit einer Wanne und einem Badeofen gab es.
Auf dem Esszimmertisch stand ein großer Korb mit Früchten aus der Gärtnerei, und im Wohnzimmer hatte Onkel Martin eine Zeder aufstellen lassen.
»Ach, der Gute«, seufzte Emilia entzückt. Die Betten waren bezogen und nach einer kleinen, leichten Mahlzeit schickte sie die jüngeren Mädchen zu Bett, während Lily, Tony, Fred und Carl zum Fluss hinuntergingen.
Emilia und Minnie setzten sich auf die Veranda und genossen den Ausblick auf die Berge, die bläulich in der untergehenden Sonne schimmerten.
»Es ist der Eukalyptus«, sagte Minnie leise. »Seine ätherischen Öle steigen in der Hitze auf und reflektieren das Sonnenlicht.«
»Was du nicht alles weißt«, meinte Emilia stolz. Sie nahm das Strickzeug aus dem Korb und klapperte mit den Nadeln, ein Geräusch, das untrennbar mit ihr verbunden war.
In der ersten Nacht konnte Minnie kaum einschlafen. Die Luft war hier draußen so anders, viel frischer und reiner. Außerdem war es einerseits viel stiller als in der Stadt, keine Hufe klapperten auf den Straßen, keine Karrenräder knirschten im Staub, keine Stimmen, außer denen ihrer Eltern, die noch auf der Veranda saßen und sich leise unterhielten, waren zu hören. Andererseits gab es jedoch auch viele unbekannte Geräusche – das Gebälk des Hauses knackte,
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