Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
»Vielleicht änderst du ja deine Meinung, wenn du Rudolph kennenlernst. Er ist ein netter und höflicher Mensch. Er will hier Landwirtschaft betreiben, das ist sein Traum und den will er verwirklichen.«
Mit erhobenem Haupt ging sie in ihr Zimmer, setzte sich an den winzigen Schreibtisch und nahm einen Bogen Papier hervor, um Rudolph zu antworten.
Wird meine Familie ihn ablehnen, nur weil sie seinen Bruder nicht mag?, fragte sie sich. Das kann ich mir nicht vorstellen. Dann tauchte sie die Feder in die Tinte und begann, ihm zu schreiben.
26. K APITEL
»Rudolph te Kloot«, sagte Emilia mit Grabesstimme, als sie nachts nebeneinander im Bett lagen.
»Was ist mit ihm?«, murmelte Carl müde. »Das ist Jeans Bruder.«
»Und unsere Minnie.«
Carl schwieg und für einen Moment dachte Emilia, er sei eingeschlafen, doch dann richtete er sich auf.
»Was?«
»Nun, Jeans Bruder Rudolph … wird bei Martin anfangen. Minnie hat ihn dorthin vermittelt.«
»Unsere Minnie?« Das Entsetzen war ihm anzuhören. »Wie? Bei Martin? Er soll doch das Kontor in Noumea übernehmen.«
»Nein, er ist Landwirt, Carl«, sagte Emilia immer noch sachlich. »Und er hat eine Stelle bei Martin in Ryde bekommen, er wird auch dort wohnen.« Sie schluckte. »Es scheint mir, als hätte Minnie ihn gern.«
»Einen te Kloot? Niemals.«
»Der Bruder ist sehr viel jünger als Jean.«
»Es ist eine Familie. Das ist unmöglich, kein te Kloot … nicht mit einer meiner Töchter«, brummte Carl und warf sich auf die Seite, stopfte das Kissen zurecht. »Nein, kein te Kloot.«
Australien war britische Kolonie und wie im Heimatland wurde Weihnachten dort am 25. Dezember begangen. Emilia hatte nachts noch Strümpfe gefüllt und sie am Kamin aufgehängt.
Seit die Kinder etwas größer waren, hatten sie beschlossen, dass jeder von allen anderen Geschwistern gemeinsam ein Geschenk bekam, meist nur eine Kleinigkeit, aber sie machten sich schon einige Wochen zuvor Gedanken darüber.
Den Eltern schenkten sie auch gemeinsam etwas und die kleineren Kinder malten oder bastelten eine Überraschung. Es war immer ein sehr liebevoller Tag, den alle genossen und schätzten.
In diesem Jahr war es etwas anders, da Tony und Fred erst kurz vor den Feiertagen aus Europa zurückgekommen waren. Sie hatten für jeden eine Kleinigkeit besorgt und machten auch viel Aufhebens darum.
Emilia sorgte sich mehr um die Küche. Die beiden Aborigines wollten ihr kaum Zugang gewähren, aber das Weihnachtsessen hatte sie schon immer selbst zubereitet. Wie jedes Jahr, wie schon in Othmarschen, gab es Gans. Die Wildgänse hatte Carl vor zwei Tagen frisch geschossen. Dank der reichen Gaben von Vollmer konnte Emilia sie mit Äpfeln und Pflaumen stopfen. Auch Kartoffelknödel machtesie. Rotkohl gab es indes nicht, es war nicht die Saison dafür. Aber Rotkohl mit ausgelassenem Speck schmeckte eh nur bei Frost, und den hatte Emilia in den zwanzig Jahren in Australien noch nicht erlebt.
Jeder packte der Reihe nach sein Geschenk aus, das war auch so ein Brauch in ihrer Familie. Erst das, was die Geschwister sich schenkten, und dann noch das, was die Eltern für sie hatten. Da sich alle viel Mühe gaben, ging es ohne Enttäuschungen ab.
Emilia bekam Bücher, auch Carl schenkten die Kinder Lektüre. Die beiden lasen gerne und viel und freuten sich sehr darüber. Zudem erhielt Emilia Stricknadeln und einen neuen Handarbeitskorb, denn ihrer war in die Jahre gekommen. Carl bekam Tabak und eine Pfeife, die er seiner inzwischen stattlichen Sammlung hinzufügen konnte, die er schätzte und pflegte.
Für Minnie hatten die Geschwister ein Herbarium besorgt und ein Pflanzenbestimmungsbuch. Von den Eltern bekam sie einen Gutschein und Samentüten. Der hintere Teil des Gartens war nun ihrer und sie konnte dort walten und pflanzen, was sie wollte. Sie freute sich sehr.
Dennoch war sie froh, als sie mitten im Trubel in einem unbeobachteten Moment aus dem Haus schlüpfen konnte. Die Nacht war herrlich kühl und klar, Glühwürmchen schwebten zwischen den Sträuchern. Sie ging nur ein paar Schritte den Hügel hinunter, sah zum Kreuz des Südens und dachte an Rudolph. Er war nun auf Noumea. Was, wenn es ihm dort doch gefiel und er das Kontor übernehmen wollte?
»Minnie?«, hörte sie plötzlich die Stimme ihrer Mutter hinter sich.
»Ich bin hier.« Sie ging auf Emilia zu.
»Bist du enttäuscht?«, fragte Emilia besorgt.
»Nein.« Minnie schüttelte den Kopf. »Ich brauchte nur ein wenig frische Luft
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